Warum die Lehre Buddhas unbezahlbar ist
Es ist ein warmer Sommertag im Juni 2019. Ich befinde mich in Lünzen, einem kleinen Ort in der Nähe von Schneverdingen in der Lüneburger Heide, auf dem Weg zu meinem nächsten Interview. Eine ruhige Wohnstraße, Neubaugebiet. Links und rechts stehen Einfamilienhäuser, mit angelegten Gärten, kurzen Hecken und jungen Bäumen. Alles wirkt neu und frisch. Auf der Suche nach der richtigen Hausnummer entdecke ich von weitem bunte tibetische Gebetsfahnen, die vor einem großen Holzhaus im Wind flattern. Das muss es sein. Ein gewundener Steinweg führt durch einen hübschen Vorgarten direkt zur Eingangstür, die schon offen steht - hier treffe ich mich mit den Gründerinnen des ersten tibetisch-buddhistischen Nonnenklosters Shide zu einem Gespräch.
© Tonia Christie
Liebe Frau Föllmi-Zinnenlauf, Sie sind Schriftführerin und auch zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit - wie kam es zur Gründung des Klosters Shide?
Frau Föllmi-Zinnenlauf:
Die Initiative zur Klostergründung, liegt eigentlich bei der Ehrwürdigen Namgyäl Chökyi und bei der Ehrwürdigen Thubten Choedroen. Das sind die beiden Nonnen, die Anfang 2015 den Wunsch hatten, aufgrund von Erbnachlässen, die sie hatten, sich eine neue Wohnsituation zu schaffen. Die Ehrwürdige Namgyäl Chökyi war die vorantreibende Kraft, sie hat viel in die Planung und den Hausbau investiert, den beide Ordinierten (Ordination nennt man im Buddhismus die Vollordination zur buddhistischen Nonne) selber finanziert haben. Das Haus wurde aufgrund einer Privatinitiative gebaut und erst dann an den Verein geschenkt, der im November 2015 in Schneverdingen gegründet wurde und 12 Gründungsmitglieder umfasst. 6 davon sind Vorstandsmitglieder. Die Situation der buddhistischen Nonnen in Deutschland ist eigentlich ungeklärt. Es gibt keine Struktur. Der Buddhismus ist als Religion nicht anerkannt und hat nicht denselben Status wie das Christentum oder so. Und so gibt es keine Struktur eines buddhistischen Klosters in Deutschland. Es sind eigentlich immer Pionierprojekte. Es muss eine ganze Strukturfunktionsweise, einerseits auf administrativer, aber auch praktischer Ebene erfolgen. Eigentlich ist es ein wagemutiges und man könnte sagen, ein verrücktes Projekt. Ich finde es wunderbar, dass es Frauen mit Initiative gibt, die anpacken und versuchen ein solches Projekt auf die Beine zu stellen. Ich bin auch sehr glücklich, dass ich dabei sein kann und einen kleinen Teil meiner Zeit dafür verwenden kann, mitzuhelfen, auch über die große Distanz aus Straßburg.
© Sylvia und Reinhard Walter
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Bei den Klöstern der tibetisch-buddhistisch Ordinierten ist das gelbe Gewand das Kennzeichen der Ordensgemeinschaft. Da gibt es bei den Nonnen auf jeden Fall keine Klöster. Aber wir haben andere Linien, und die Ehrwürdige Sucinta vertritt eine der anderen Linien, und da gibt es auf jeden Fall schon Klöster.
Ayya Sucinta:
Aber es ist auch noch sehr rar. Als ich ordinieren wollte, musste ich ins Ausland gehen. Da war keine Chance in Deutschland. Aber inzwischen gibt es immerhin seit 2007 ein Kloster im Allgäu.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Wir sind voll in der Pionierphase. In jeder Hinsicht. (lacht)
Ist das Kloster Shide ausschließlich für Nonnen?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Ja, da könnte die Ehrwürdige Sucinta viel mehr dazu sagen als ich, da sie sehr bewandt ist in einer Schrift, die Vinaya heißt. Das ist die Schrift der Ordensregeln, eine Sammlung von buddhistischen Ordensregeln. Da geht es nicht, dass Nonnen zusammen mit Mönchen leben. Es besteht vielleicht die Möglichkeit, dass die Häuser in der Nähe sind, aber nicht unter einem Dach, das geht nicht.
Ayya Sucinta:
Ich habe schon zeitweise in einem Mönchskloster gelebt, die haben meistens einen getrennten Bereich für die Männer und Frauen. Es geht eigentlich nur vorübergehend. Ich finde es ist eine bessere Lösung, wenn die Männer ihre Klöster haben und die Frauen ihre. Das ist weniger kompliziert.
Sie erwähnen, dass auch Laien in das Kloster kommen können – wie werden sie darauf aufmerksam?
Bettina Föllmi-Zinnenlauf:
Die beiden Gründerinnen, die Ehrwürdige Namgyäl Chökyi und die Ehrwürdige Thubten Choedroen waren eng mit dem Tibetischen Zentrum verbunden, in dessen unmittelbarer Nähe befindet sich auch das Meditationshaus Semkye Ling. Es gab immer viele Interessenten, die den Aufbau des Klosters mitverfolgt und unterstützt haben. Natürlich ist es jetzt wichtig, neue Leute anzusprechen und auch vor Ort, in der Gemeinschaft Schneverdingen Fuß zu fassen, bekannt zu werden und aufzutreten. Namgyäl Chökyi hat in der Stadt Schneverdingen in verschiedenen Einrichtungen regelmäßig Meditationsgruppen angeboten. Zum Beispiel in einer Pflegeeinrichtung, wo die Angestellten dieses Angebot oder auch Yoga Nidra-Übungen nutzen konnten. Auch Unternehmen haben sie schon kontaktiert, für Meditationen innerhalb einer Firma, und so beginnen wir, langsam unsere Fühler auszustrecken und über den persönlichen Bekanntenkreis hinauszugehen. Es ist natürlich schwierig und man muss auch vorsichtig sein, dass da keine Konkurrenz entsteht, dass jetzt ein Zentrum denkt, "jetzt wollen die uns die Leute wegnehmen". Da braucht man viel Diplomatie und Feingefühl, dass man sich da auch klar positioniert, und natürlich ist es jedem Mann und jeder Frau freigestellt, sich dort zu engagieren, wo sie oder er will. Von daher achten wir darauf, dass wir uns wirklich korrekt verhalten. Wir sind selbstständig und unabhängig von einer anderen Einrichtung. Das ist wichtig, zu wissen.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Wir haben auch Studierende begleitet während ihrer Ausbildung. Wir haben eine Homepage und einen Newsletter, der an viele Leute geht, und es kommen immer mehr dazu, die interessiert sind. Der Inhalt des Newsletters ist uns sehr wichtig. Es geht darum: Was hat Buddha gesagt und wie kann man das mitnehmen, damit man im Alltag etwas damit anfangen kann? Es geht um alles, was wir im Kloster machen - um die Lehre Buddhas.
Wie kann man die Lehre Buddhas vermitteln?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Es kommen auch Leute mit einem Bedürfnis zu uns, zum Beispiel wenn jemand verstorben ist und es den Angehörigen sehr schlecht geht und sie Lebensfragen haben. Wir machen auch die sogenannte Seelsorge. Die Person kommt zu uns, vielleicht aus einem christlichen oder atheistischen Kontext und wir versuchen dann aus unserer Perspektive Unterstützung zu geben. Und plötzlich sind sie dann interessiert und fragen: Worum geht es hier? Sie möchten dann mehr erfahren und wir begleiten sie. Alles, was wir machen, das möchten wir wirklich betonen, machen wir ohne Geld dafür zu verlangen. Das ist uns sehr wichtig, dass man den Buddha Dharma, also die Lehre Buddhas nicht verkauft. Es ist kein Geschäft, kein Business. Man kann daran nicht verdienen.
Ayya Sucinta:
Es ist unbezahlbar.
Wie kann die buddhistische Tradition außerhalb des Klosters, im Alltag gelebt werden?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Sie meinen für Laien, die hierherkommen? Das ist ein wichtiges Thema.
Ayya Sucinta:
Ich bin vor Kurzem dazu von Lehrern befragt worden, die mit Schulklassen das Thaikloster besucht haben. Zum einen bemühen sich die buddhistischen Laien, im Alltag die fünf Regeln einzuhalten. Nicht zu töten, oder nicht zu verletzen, das schließt auch kleinere Tiere ein und nichts zu nehmen, was ihnen nicht gegeben wurde. Was Sexualität und Erotik betrifft, üben sie sich darin, ihr Interesse nicht auf Kosten anderer durchzusetzen, sondern rücksichtsvoll zu sein. Eine andere Regel bezieht sich auf die Rede, nämlich ehrlich und aufrichtig zu sein, nicht unfreundlich zu reden oder hinter dem Rücken über andere, schlechte oder bedeutungslose Dinge zu sagen. Es geht darum, das Berauschen mit Alkohol oder Drogen zu vermeiden, stattdessen in möglichst allen Situationen achtsam zu sein. Die buddhistischen Laien sehen auch zu, wenn sie Zeit haben, dass sie ihren Urlaub nicht nur am Strand verbringen, sondern sie nehmen sich Zeit und gehen in ein Meditationszentrum oder in ein Kloster oder meditieren zu Hause. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die eine regelmäßige Meditationspraxis haben und die merken, dass das für sie einen großen Unterschied macht. Ihre Meditationspraxis hat in mehrerer Hinsicht Auswirkungen auf ihre Arbeit. Es macht sie zum Beispiel geduldiger. Auch engagieren sich einige ehrenamtlich in ihrer freien Zeit, zum Beispiel für die Integration von Flüchtlingen.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Ich denke ein wichtiges Prinzip des Buddhismus ist die Gewaltlosigkeit, das ist eine Maxime. Die Gewaltlosigkeit geht ja in alle Bereiche hinein. Vom Verhalten bis zur Sprache. Die verschiedenen Handlungen, vielleicht auch der Lebenserwerb, den man hat, ist der eigentlich gewaltfrei? Ich glaube das beschäftigt die Menschen, die auf diesem Weg sind. Es ist eine Reflexion, die man im Alltag hat. Was sind die Konsequenzen meiner Handlung, wenn ich zum Beispiel jemanden über den Tisch ziehe? So merke ich, es geht mir selber und dem anderen Menschen nicht gut. Dann geht es noch weiter und man betrachtet seine Gefühlswelt. Wie gehe ich mit meinen Emotionen um? Reagiere ich aufbrausend? Der Alltag ist für Ordinierte und für Laien ein Übungsfeld. Wir brauchen den Kontakt als praktische Übung. Das ist wichtig für uns.
Wir haben ja auch die Fragen der alternativen Wahrheiten, der Ethik. Was bewegt die Leute? Wie weit kann man etwas behaupten, was überhaupt nicht stimmt? Was macht das mit den Menschen? Wie gehen wir mit den Mitmenschen, der Umwelt um? Vielleicht gehen viele der jungen Menschen jetzt auf die Straße, weil es hip ist oder modern, aber einige kommen schon ins Grübeln und haben Sorgen um ihre Zukunft. Für uns ist die Nächstenliebe, das Mitgefühl, das Friedliche einfach sehr, sehr wichtig. Wenn so eine Lebensphilosophie und Religion, die ja der Buddhismus ist, nicht authentisch ist, springen die Leute ab. Wir haben ja auch schon Skandale gehabt und da machen wir uns große Sorgen. Auch weil wir das Kloster aufbauen und hier Nonnen leben und es ein monastisches Leben gibt, das wichtig ist und eingehalten werden muss. Und dass man auch erklärt, worum es eigentlich geht. Aber wenn die Laien und Laiinnen den Unterschied nicht mehr verstehen zwischen ihnen und uns und da Geld gescheffelt, in Saus und Braus gelebt wird oder sexuelle Übergriffe stattfinden und es in den unethischen Bereich hineingeht und die Machtproblematik aufkommt, dann wird es gefährlich. Die Kirchen stecken ja jetzt voll in dieser Problematik. Ich habe großen Respekt vor Papst Franziskus, aber er allein wird es nicht schaffen.
© Tonia Christie
Welche Bedeutung haben ihre Buddhistischen Namen?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Wenn wir uns entscheiden, in die Hauslosigkeit zu gehen, denn das ist ja das, was wir machen, uns abwenden vom Weltlichen, dann bekommen wir andere Kleider, die Haare werden geschnitten und wir kriegen auch einen neuen Namen. Der zivile Name erscheint bei mir jetzt noch im Pass, aber bei der Einwohnerbehörde ist mein anderer Name erklärt, neben dem weltlichen Namen. Man hat sozusagen eine andere Identität. Mein Name, Namgyäl Chökyi ist tibetisch. Namgyäl bedeutet siegreich und Chökyi glücklich. Siegreich und glücklich in Buddha Dharma. Und das bin ich auch.
Ayya Sucinta:
Ich komme von der anderen, frühen buddhistischen Tradition, die Theravada genannt wird. Mein Name kommt aus der Pali-Sprache. (Pali gilt als alte historische Sprache Indiens, in der auch Buddhas Worte und Schriften (Sutren) verfasst wurden). Mein Lehrer, der aus Sri Lanka stammt, hat mir, als ich Samaneri, also als ich Novizin wurde, den Namen Sucinta gegeben. Su heißt immer in der Kombination mit einem Namen gut und Cinta heißt Denken. Also gutes Denken. Ayya ist ein Ehrentitel.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Das bedeutet natürlich auch, wenn man in die Hauslosigkeit geht, ist man vielleicht noch nicht dort, wo die Bedeutung des Namens herkommt. Aber mit der Zeit gelangt man dorthin.
Ayya Sucinta:
Zum Hineinwachsen…(alle lachen)
Wenn Sie „zum Hineinwachsen“ sagen, ist das der Weg zur Erleuchtung – kann man das so sagen?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Doch, doch, das haben wir vor…(lacht)
Die Reihenfolge der Farben der Gebetsfahnen, Blau, Weiß, Rot, Grün und Gelb von links nach rechts, haben eine bestimmte Bedeutung - Blau für die Leere (den Raum, den Himmel), Weiß für die Luft (die Wolken, den Wind), Rot für das Feuer, Grün für das Wasser und Gelb für die Erde.
© Tonia Christie
Was hat Sie persönlich bewegt, sich dem buddhistischen Glauben anzuschließen?
Frau Föllmi-Zinnenlauf:
Ich bin 2012 Buddhistin geworden. Mein erster Kontakt mit dem Buddhismus erfolgte über die Kunst. Ich habe mich sehr für tibetische Kunst interessiert und wollte wissen, wie die Kunst eingebunden ist in die Religion. Ein Buch hat mich sehr geprägt und mir den Einstieg erleichtert – „Wertvolles Leben: der Weg des tibetischen Buddhismus“ von Khandro Rinpoche, eine tibetische Nonne und Gelehrte. 2010 habe ich in Hamburg das Tibetische Zentrum besucht. Ich habe an einer Führung und an einer Meditation teilgenommen und mich sofort zuhause gefühlt. Etwas später bekam ich die Information, dass dort das Studium „Systematisches Grundstudium des tibetischen Buddhismus“ angeboten wird und ich habe mich schnell entschlossen, dieses Studium zu machen. Und im Zuge des Studiums habe ich gemerkt, dass ich das Bedürfnis hatte, Buddhistin zu werden. Also nicht nur in Theorie zu studieren, sondern wirklich diesen Weg einzuschlagen. Ich war ursprünglich Protestantin, stamme aus der Schweiz und war nie besonders verbunden mit dem Christentum. Ich bin, wie es sich für ein braves Mädchen gehört (lachen bei allen) konfirmiert worden und habe auch kirchlich geheiratet. Im Buddhismus bin ich angekommen und freue mich, mit dieser, für mich zwar weit entfernten Gemeinschaft verbunden zu sein. Ich fühle mich dort zuhause.
Ayya Sucinta:
Ich habe Psychologie studiert. Nachdem ich das Studium abgeschlossen hatte, traf ich bei einer Fortbildung einen Lehrer, der Mitglied einer Zen-Gruppe war. Er sagte, die Meditation helfe ihm persönlich sehr, auch bei seiner Arbeit – er hat mit Alkoholikern gearbeitet. Und ich habe festgestellt, ich wusste eigentlich fast gar nichts über die Buddha-Lehre. Ich habe mir dann ein kleines Büchlein gekauft „Buddha“ aus der Reihe Rowohlt Enzyklopädie. Und das hat bei mir sehr eingeschlagen. Was der Buddha gesagt hat über Dukkha - das hat jeder Mensch. (Das Paliwort Dukkha steht im gewöhnlichen Sprachgebrauch für Leiden, Kummer, Elend). Ich habe festgestellt: Oh, ich bin gar nicht so besonders (lacht)! Das hat mir sehr gut getan. Ich habe damals in Hamburg gelebt und in der Hamburger Rundschau war eine Anzeige zu einem buddhistischen Seminar. Da bin ich hingegangen. Ich musste aber mehrere Anläufe nehmen, weil es am Anfang nicht geklappt hat. Und dann irgendwann habe ich dort eine buddhistische Gesellschaft kennengelernt. Irgendjemand sagte dann, wir kommen gerade aus England, dort gibt es ein buddhistisches Kloster – da solltest du auch mal hingehen. Und da ich gerade Urlaub hatte, bin ich dahin gegangen. Und als meine Arbeit, eine befristete Stelle, endete, bin ich nach Sri Lanka geflogen. Ich hatte damals schon den Gedanken, zu ordinieren, aber in Sri Lanka konnte ich mich nicht dazu entscheiden, aber später bin ich dann in die USA gereist und habe mich dann entschlossen, dort zu ordinieren. Aber das ist eine längere Geschichte.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Aus der Gegend, wo ich herkomme, aus der Stadt Fribourg, sind wir in jungen Jahren gerne in Gruppen, in Sippen zusammen gewesen. Wir Jugendlichen hatten sehr viele Lebensfragen. Und wir hatten einen guten Lehrer, der auch Priester der katholischen Kirche war. Wir haben ihn gelöchert mit unseren Lebensfragen und irgendwann hatte er keine Antwort mehr parat aus der christlichen Perspektive. Dann hat er gesagt, es gibt ja auch noch den Buddhismus und wir haben gefragt: Was ist denn das? Und so hat er uns auf den Geschmack gebracht. Er war als Priester selber auch Zen-Praktizierender und hatte eine Zen-Gruppe, und so bin ich mit 18, 19 schon auf diesem Weg gegangen. Er war ein toller Priester, er hatte seine Kirche immer voll – es gab besondere Anlässe mit Bikes und Motorrädern, die in die Kirche durften und die er dann gesegnet hat. Und es gab eine Messe für Tiere, da saßen dann Katze, Hund und Vogel in der Kirche. Wir mochten das und durften auch in der Kirche Musik machen. Aber das war dem Bischof irgendwann zu viel (alle lachen) und er hat den Priester sozusagen verbannt. Der Priester war dann zuständig für zwei Frauenklöster in der Stadt Fribourg. Dort gibt es ganz viele Klöster. Und viele Kleriker. Die vielen Priester, Nonnen und Mönche gehörten für uns zum Stadtbild. Der Priester war dann zuständig für zwei geschlossene Klöster.
Ayya Sucinta: Als Strafe (lacht)
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Wir hatten weiterhin unsere Meetings mit ihm. Dieser Priester hat mir so gefallen. Er hat einmal von einem Franziskaner Nonnenkloster geschwärmt, ein schöner mittelalterlicher Bau, 800 Jahre alt. Wir haben gefragt: Können wir das Kloster nicht auch mal besuchen? Dann hat er das für uns organisiert. Es war für mich sehr beeindruckend. Und die Äbtissin war Doktorandin der Nuklear Physik oder so etwas und sehr offen. Sie hat die ganze monastische Regel (Unter monastischen Orden versteht man Ordensgemeinschaften, deren Mitglieder ein Leben in der klösterlichen Abgeschiedenheit der Klausur führen) auf den Kopf gestellt. Weil es absolutes Schweigen gab oder Tag und Nacht gebetet wurde, und nur sonntagnachmittags durfte man sich unterhalten und miteinander reden. Die Situation in dem Kloster war wie in einem Theater. Wir waren in einem Raum mit einem Vorhang, plötzlich ging der Vorhang auf und alle Nonnen waren hinter einer Art Fenstergitter. Man konnte gut miteinander reden. Was mich beeindruckt hat, war dieses Strahlen der Nonnen, die waren wirklich glücklich. Nicht nur ihre Erzählungen haben uns beeindruckt, sondern ihr ganzes Verhalten. Da habe ich gespürt: Das interessiert mich, da würde ich gerne dazugehören. Diese andere Art, zu leben, nicht im Weltlichen mit Beruf und allem, sondern sich den Innenbetrachtungen widmen.
War es schwierig für Sie, sich diesen innerlichen Betrachtungen zu widmen?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Nein, das war leicht für mich. Für die Menschen, die das machen möchten, gibt es die katholischen oder die evangelischen Klöster, aber bei den Buddhisten gibt es das noch nicht, und für uns junge Frauen war es immer schwierig, weil wir ja diese gesellschaftlichen Verpflichtungen haben wie Krankenversicherung etc. Ich habe dann auch gearbeitet und als ich gemerkt habe, es ist genug Geld da, habe ich gesagt, es ist gut und ich mache nur das. Aber wir haben einen schwierigen Weg.
© Tonia Christie
Shide bedeutet Frieden und inneres Glück – haben Sie ihr inneres Glück gefunden?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Teilweise ja. Bei der Aufbauphase gab es viel zu bewältigen und auch Turbulenzen, es lief nicht immer glatt. Aber je länger wir dran sind, umso besser wird es. Der Frieden entsteht auch durch diese Struktur, die wir haben, da wir jetzt versuchen, mit Laien und Ordinierten dieses Projekt so ehrlich und so gut wie nur möglich aufzubauen. Das ist das eine. Das andere ist der persönliche Weg, den man geht, die Geistesschulung. Ja, da habe ich wirklich Frieden. Und ich freue mich, diesen Weg gewählt zu haben.
Ayya Sucinta:
Was mich betrifft, ich habe oft das Gefühl gehabt, Pionierin zu sein und Pionierarbeit zu leisten. Ich bin ziemlich viel umhergewandert und habe hier und da geholfen, etwas aufzubauen, aber bislang nie so richtig irgendwo Fuß gefasst, wobei es nicht darum geht, Fuß zu fassen. Es war manchmal sehr anstrengend und deswegen wünsche ich mir in meinen späteren Lebensjahren, dass es da etwas ruhiger und friedlicher wird. Ende 2017 habe ich meine Verantwortung niedergelegt für das Nonnenkloster im Allgäu, was sehr anstrengend war. Es hatte mit vielen Konflikten und auch weltlichen Dingen zu tun. Dann war ich erst einmal ein Jahr in Thailand, was auch nicht so einfach war. Und jetzt war ich ein paar Monate in Hannover in einem Thaikloster, einem großen Männerkloster und bin erst seit dem 26.06. hier. Im Vergleich zu meinen früheren Jahren, wo ich vielfach versucht habe, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen, habe ich einiges gelernt.
Gibt es etwas worauf Sie im Leben verzichten?
Ayya Sucinta:
Nein - wir machen das ja freiwillig.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Ich mag Tiere sehr gerne. Wir hatten eine Katze, die ist leider verstorben. Das war mit Trauer verbunden, aber es hatte auch etwas mit Loslassen zu tun. Und so schätze ich die Tiere, die wild sind - Ameisen und Bienen oder Schnecken, für die ich ein kleines Schneckenhotel mit Salatblättern gebaut habe, weil sie ja von niemandem geliebt werden.
Bettina Föllmi-Zinnenlauf, die per Skype zugeschaltet war, verabschiedet sich.
Ehrw. Namgyäl Chökyi, Sie werden im Juli die Drei-Jahres-Klausur oder auch Retreat antreten, was bedeutet das?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Es bedeutet, dass ich einfach das unglaubliche Glück habe, mich drei Jahre zurückzuziehen und die Innenbetrachtung machen zu können, mit meinem Geist zu arbeiten, um ihn besser zu verstehen und ihm näherzukommen. Wenn wir hier im Kloster mit unseren Schwestern sind, dann reden wir auch miteinander und haben natürlich auch unsere Abläufe, aber es ist nicht so, dass wir voll im Rückzug sind. Aber bei der Klausur darf ich das dann sein. Ich bin dann woanders. Wir haben in Schneverdingen vier buddhistische Einrichtungen und ich werde in einer der Einrichtungen sein, im Milarepa Retreat-Zentrum, die sind spezialisiert darauf. Das ist auch meine persönliche Richtung, die Drikung-Kagyü-Linie.
Sie werden sich drei Jahre lang zurückziehen und keinen Kontakt mehr zu irgendjemandem haben?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Also wir sind eine kleine Gruppe von sechs Personen. Es gibt ein Programm mit Themen und der Ablauf wird uns von einer Person erklärt. So werden wir darauf vorbereitet. Wenn wir dann praktizieren, sind wir allein im Zimmer. Wir sprechen nicht, wir kochen selber und sollen die anderen nicht mehr sehen, bis die Pause da ist und es zum nächsten Thema geht. In den ersten zwei Jahren ist der Rhythmus von 14 Tagen bis drei Monate. Und im letzten Jahr sind die Abstände viel länger - bis zu einem halben Jahr. Es ist interessant, was passieren kann: Wie geht es mir ohne Kontakt? Was macht mein Bewusstsein, meine Psyche - spielt die verrückt? Wir sprechen von Kleshas, das sind bestimmte Verhaltensmoden (Begriff aus dem Sanskrit). Bei einem Verlangen zum Beispiel. Was mache ich, wenn ich in meinem Zimmer sitze und ein riesiges Verlangen nach einem Eis habe? – ich drehe Runden und ich komme zu keinem Eis, was mache ich? Es geht darum, mich kennenzulernen, zu verstehen, zu erkennen wo ich stehe und zu versuchen, das nach und nach zu transformieren, sodass dieses Verlangen nicht mehr im Vordergrund ist. Wir sprechen vom Weg des Unheilsamen, also von Dingen, die uns nicht gut tun, zu den heilsamen Dingen, die Frieden bringen.
Was kann durch Meditation überwunden werden?
Ayya Sucinta:
Im Prinzip alles. Manchmal dauert es länger. Es geht im Wesentlichen darum, Gier, Hass und Verblendung zu überwinden. Wenn wir diese drei Wurzeln des Unheilsamen überwunden haben, dann sind wir erwacht und haben keine Verblendung mehr. Dieser Dünkel - das bin ich, das gehört mir oder meine Gedanken sind mein oder mein Körper ist mein. Der Körper gehört der Natur, der wird der Natur übergeben und dann ist Schluss; oder das wir die Tendenz haben, ärgerlich zu werden oder vielleicht sogar andere Menschen hassen. Das alles wollen wir loswerden. Diese unheilsamen Zustände sind auch eine Form von Leiden. Wir sind nicht richtig frei. Wenn Gier da ist, sind wir im Grunde genommen gebunden an das Eis oder was auch immer wir haben wollen. Wenn wir das alles loslassen können, dann sind wir wirklich frei. In der Gesellschaft wird es im Allgemeinen umgekehrt verstanden – wir können alles machen, was wir wollen und so passiert viel Blödsinn, das ist schade. Es geht darum, frei zu sein von Gier, von Hass, von Verblendung. Und durch die Meditation gelangt man dahin, bis nichts mehr davon übrig ist.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Buddha hat es uns ja selber vorgelebt. Er kam aus einem reichen Elternhaus. Und er hatte eigentlich alles, was er brauchte, um glücklich zu sein. Die Frage ist ja: Was ist eigentlich Glück? Ist es, alles machen zu können? Geld und Macht zu haben? Buddha kam aus einer aristokratischen Familie und als er dann den kranken und sterbenden Menschen begegnet ist, da hat er nachgedacht und sich gefragt: Ist das wirklich Glück, was ich da erlebe, wenn ich einen Job, Partner und Haus habe? Ist das von Dauer? Nein, es ist nicht von Dauer. Alles vergeht und ist vergänglich und so kommt die Philosophie auf, man denkt nach. Er hat viel tun können, weil er es auch selber erfahren hat.
Welche Bedeutung hat Heimat für Sie?
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Ich komme aus einer anderen Kultur, der französischsprachigen Schweiz. In der Familie, in großen Sippen zu sein, zu teilen und zusammenzuhalten, das sind Werte, die ich als Kind erlebt und auch mitgenommen habe. Und die Berge, der Schnee und auch meine Sprache. Am Anfang habe ich schon geknabbert und mir dann manchmal ein YouTube-Filmchen über meine Heimat geguckt (lacht). Hier in der Lüneburger Heide war am Anfang alles sehr flach.
Ayya Sucinta:
Es ist immer noch flach (lacht)
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
So kleine Hügelchen sehe ich schon. Einmal wurde ich zum höchsten Berg geführt, da hinten in der Heide, der ist 169 m hoch (lacht). Aber jetzt muss ich sagen, es wird meine Heimat. Ich mag die Heide sehr. Es ist eine sehr schöne Gegend; und wir gehen ja auch zusammen auf Almosengang und dann sehen wir, wie nett die Leute hier aus der Umgebung sind.
Was ist der Almosengang?
Ayya Sucinta:
Der Almosengang wird vor allem in der Theravada-Tradition praktiziert, aber nicht ausschließlich, wir machen es auch. Der Begriff stammt aus der Pali Sprache, und in dieser frühen Theravada- Tradition wurde der Pindapat praktiziert. Pindapata ist das Wort für Almosenspeise und Almosengang. Das geht auf die Zeit des Buddha zurück, wo das sehr üblich war. Es wird vielfach bis heute weiterhin praktiziert, vor allem in Thailand, Burma und Sri Lanka, kaum jedoch in den Mahayana-Ländern China, Japan, Vietnam und auch nicht in Tibet. Die Religionssuchenden wurden von den Menschen ernährt. Die hatten eine Schale und die Leute haben ihnen zu essen gegeben. Das wird bis heute fortgesetzt. In Thailand bin ich auch mit den Bhikkhunis (diese werden in den Theravada-Ländern als Menschen betrachtet, die andere unterstützen aus Respekt und im Wissen, dass sie etwas Gutes tun.) zum Markt gegangen und wir haben auf die Art und Weise unser Essen bekommen. Und hier in Schneverdingen auf dem Markt haben wir es auch versucht. Die Leute wissen oft erstmal gar nicht, warum wir da stehen und sind etwas verwundert und gucken manchmal komisch. Aber ein Mann von einem Gemüsestand hat uns erkannt und gefragt, ob wir Blumenkohl oder Mangold gebrauchen können. Mit dem Bioladen hat es nicht so geklappt, aber Brötchen haben wir bekommen. Es geht nicht darum, einen Haufen Sachen zu bekommen, sondern auch mit Wohlwollen in die Stadt zu gehen und zu gucken, ob die Leute uns was geben oder nicht. Es geht auch darum, präsent zu sein, auf eine sehr ursprüngliche Art. Viele sind berührt, dass Menschen da stehen, weil sie was zu essen brauchen und nicht weil sie Geld wollen. Wir nehmen kein Geld an. Es geht nur ums Essen. Und die Leute geben das sehr gerne, mit Freude. Sie merken, dass die Großzügigkeit des Gebens was sehr Schönes ist. Manchmal ergibt sich auch ein kleines Gespräch. Das ist oft sehr schön. Ich glaube die Menschen merken, dass wir für etwas Gutes stehen.
Was bedeutet Heimat für Sie, Ehrwürdige Sucinta?
Ayya Sucinta:
Ich bin das mal nach der Beerdigung meiner Mutter gefragt worden. Ich habe dann geantwortet, dass mir Heimat nicht so viel bedeutet. Und dass ich jetzt so viel in der Welt herumgekommen bin und versucht habe, mich dort wohlzufühlen, sodass ich es gar nicht mehr so sagen kann - hier bin ich zuhause oder da bin ich nicht zuhause. Mir ist es gar nicht mehr so wichtig, ob ich am Meer bin oder in den Bergen. Ich habe mich in Hannover recht wohlgefühlt, am Stadtrand mit einem kleinen Wald. Es war schön.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Bei uns ist es auch so, dass wir wenig besitzen sollten und wenn wir einen Raum haben, dass man nicht an dem Raum haftet. Und ich habe mich gefreut, als die Ehrwürdige Sucinta gekommen ist und ich ihr meinen Raum anbieten konnte, in dem ich früher gelebt habe. Wir haben miteinander gesprochen und ich habe ihn etwas umgestellt und ich merke jetzt, nach der dritten oder vierten Nacht, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wie der Raum vorher war. Ich habe auch kein komisches Gefühl – warum, woher, wieso. Es ist total weg. Und ich bin so glücklich, dass ich das erleben durfte. Ich freue mich, dass ich einen neuen Raum auf dieser Empore habe, der noch offen ist, aber bald zu einem geschlossenen Raum umgebaut wird. Das ist für mich so ein Zeichen, dass man ein Stückchen weiter ist. Und das Gleiche gilt auch für die Heimat. Der Buddhismus sagt, dass es wichtig ist, dass man in einem Land leben kann, wo Frieden ist und wo man nicht ständig in Gefahr ist. Wir haben das Glück, hier zu sein.
Ayya Sucinta:
Für uns ist es auch wichtig, in einer Umgebung zu sein, wo man die Ordensregeln einhalten kann, zum Beispiel weil wir keinen Umgang mit Geld haben. Wenn ich reise, dann ist es nicht immer ganz einfach ohne einen Cent in der Tasche. In letzter Zeit hatte ich meistens eine Laienfrau dabei, die Geld hatte.
Ehrw. Namgyäl Chökyi:
Die Ehrwürdige Sucinta weiß nicht, wie ein Euro aussieht.
Ayya Sucinta:
Das letzte Mal, als ich mit Geld umgegangen bin, gab es noch D-Mark. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, als buddhistische Nonne in ein muslimisches Land zu gehen, wo keiner eine Ahnung hat von der Religion.
Haben Sie einen Lieblingsort hier?
Ayya Sucinta:
Für mich gibt es schon einen Ort, der mich anzieht. Und ich habe auch vor, dieses Jahr wieder dahinzugehen. Er ist allerdings nicht in Deutschland, da muss ich wieder fliegen. Es ist in einem Kloster in Thailand. Aber hier im Garten gefällt mir der rosa Busch besonders. Eine wunderschöne Wildrose.
© Tonia Christie
06/2019