Interview mit Leif Rättig - Moorexperte und Soul DJ
An einem regnerischen Dezembertag treffe ich mich mit Leif Rättig am Wittmoor im Norden von Hamburg, liebevoll von ihm auch "Minimoor" genannt, da Leif sich für seine Arbeit eher in riesigen Moorgebieten mit bis zu über 2000 Hektar [so groß wie ca. 2800 Fußballfelder] aufhält.
Lieber Leif, du bist DJ und Dipl. Geograph und hast eine Leidenschaft für Moore, über die du auch Vorträge hältst. Warum bist du Moorexperte geworden?
Meine Oma kommt aus dem Ammerland und die hat genau das Gegenteil gemacht: Torfabbau. Sie hat bei der „Torfforschung“ gearbeitet, wo es eher darum ging, wie man Torf noch besser abbauen kann. Als meine Stelle bei der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein ausgeschrieben wurde – Flächen- management in der Eider-Treene-Sorge-Niederung, ging es um die Betreuung von über 6000 Hektar, davon der überwiegende Teil Moore. Seit 2011 bin ich dabei und in meinem Anfangsjahr haben wir auch das „Moorschutzprogramm“ gestartet und systematisch angefangen, Moore zu renaturieren. [die Wiederherstellung eines intakten Wasserhaushaltes]. Das Projekt wird mit EU-Mitteln und zum Teil auch mit Landesfinanzierung unterstützt. Für mich war es wichtig, von Anfang an auf den Baustellen dabei zu sein. So bin ich zu dieser Moortätigkeit gekommen.
Was ist ein intaktes Moor und welche Bedeutung hat es für den Klimaschutz?
Wenn man sich die Deutschlandkarte anguckt, gibt es vier Bundesländer, in denen Moore vorhanden sind. In Bayern an der Alpengrenze, in Niedersachsen, in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Das sind die vier Moorstandorte in Deutschland. Die Moore in Schleswig-Holstein sind zu über 90 Prozent degradiert. Man hat sie systematisch entwässert, da man landwirtschaftlich die Flächen nutzen und Torf gewinnen wollte. Durch diese Entwässerung finden Vererdungsprozesse [Umwandlung (Bodenentwicklung) oberflächennaher Torfe in amorphes, erdähnliches Bodenmaterial] statt und der Torf, der immer abgeschlossen war und keinen Austausch mit der Luft hatte, wird aufgebrochen und Luft kommt hinein. Durch diese Vererdungsprozesse wird massiv CO2 freigesetzt – bei den Mooren in Schleswig-Holstein, in einer Größenordnung vergleichbar mit dem privaten Autoverkehr. Deswegen ist es unsere zentrale Aufgabe als Stiftung – ca. 34.000 Hektar Land, drei bis vier Prozent der Landesfläche gehören uns und davon sind 60 Prozent Moore – Moorvernässungen durchzuführen und die Moore für den Klimaschutz zu renaturieren. Es ist eine Win-win-Situation – wir schaffen wieder schöne Lebensräume und kaufen den Landwirten Flächen ab, die sie nicht mehr nutzen. Am Ende profitieren alle davon und das ist das Schöne daran. Das gibt Energie für die Arbeit und macht Spaß.
Was bedeutet der Begriff Flächenmanagement genau?
Die 34.000 Hektar, die wir im Eigentum haben, müssen irgendwie betreut werden. Über die Hälfte der Flächen wird noch von Landwirten bewirtschaftet. Der zuständige Flächenmanager koordiniert die Kontakte vor Ort und kümmert sich auf den Flächen um Projekte und Maßnahmen. Anders können wir die Naturschutz-Ziele gar nicht erreichen. Am Anfang habe ich, was sehr sportlich war, die gesamte Eider-Treene-Sorge-Niederung alleine betreut, heute machen das vier Leute. Dort bin ich noch ein bisschen Regionalmanager, weil es viele Moore gibt. Ab Januar 2021 beginne ich mit einer neuen Stelle und muss alle meine schönen Moorgebiete abgeben, die ich noch habe. Ich wechsle in die Stabsstelle und mache mehr Klimaschutz. Das ist mein Thema – Moorrenaturierung, Netzwerken, mit Gemeinden und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Wie kommen wir an die Flächen ran, aber wie verbreiten wir auch unsere Message in die Welt?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Hoch- und Niedermoor. Das Wittmoor ist ein Hochmoor und Hochmoore werden immer vom Regenwasser gespeist, ein Niedermoor vom Grundwasser. Im Hochmoor haben wir meistens eine Badewannen-Situation, wie man hier gut erkennen kann.
Hier gibt es Bodenschichten, die wasserundurchlässig sind. Da steht das Wasser und diese Flächen verlanden [das Zuwachsen von stehenden Gewässern oder langsam fließenden Gewässern] immer weiter. So entwickelt sich dann Torf, zuerst aus Schilf, das nennt sich Schilftorf. Manchmal kommen darüber auch Humusschichten, sodass sich Wälder bilden. Bei nassen Stellen siedeln sich Torfmoose im Hochmoor an. Torfmoose sind ganz spezielle Pflanzen, die keine Wurzeln haben und einfach übereinander wachsen. Das Besondere an ihnen ist, dass sie zu 95 Prozent aus Wasser bestehen. Wenn man das mal mit Milch oder Bier vergleicht: Da sind es etwas über 70 Prozent. Da kann man sich vorstellen, was für eine Rolle Wasser für das Torfmoos spielt. Die Pflanzen sind hochspezialisiert. Im Moor herrscht extreme Nährstoffarmut und die Böden sind extrem sauer. Die meisten Pflanzen können nicht in solchen Bedingungen überleben. Gleichzeitig ist das eine Überlebensstrategie, die Moose haben keine anderen Konkurrenten. Irgendwann kommen die alten Torfmoose dann in einen Bereich, der anaerob ist, also sauerstoffarm. Sie konservieren sich und über viele Tausende von Jahren bilden sich dann Schichten. Im oberen Teil nennt man das Weißtorf und je weiter man nach unten geht, Schwarztorf.
Es gibt auch noch andere Pflanzen, die sich auf diese Lebensbedingungen spezialisiert haben, den rundblättrigen Sonnentau zum Beispiel, eine fleischfressende Pflanze. Sie lebt von Insekten, weil es im Boden zu wenig Nährstoffe gibt. Und sie musste sich spezialisieren, damit sie auch Fliegen fressen kann. Die Besenheide wächst hier auch, eine streng geschützte Pflanze, die normalerweise nicht im Moor wächst, da es zu nass ist. Und Birken schon gar nicht, die sterben dann ab und kriegen nasse Füße.
© Leif Rättig, Tonia Christie
Auf einer Baustelle, hat mal ein Bagger bei Ausgrabungen in sechs Meter Tiefe, einen uralten Eibenbaumstamm herausgebuddelt. Das war sehr beeindruckend, weil der so aussah, als wäre er gestern erst umgefallen. Er war perfekt konserviert. Die Eibe muss mindestens 4000 Jahre alt gewesen sein. Das zeigt, wie so ein System funktioniert.
Die meisten Moore in Schleswig-Holstein sind in der letzten Eiszeit, also vor ca. 10.000 Jahren entstanden. Auch dieses. Hier hat sich eine alte Gletscherzunge gebildet und als die abgeschmolzen ist, gab es ein Tal und darin hat sich dieses Hochmoor gebildet. Entscheidend ist bei der Entstehung eines Moores, dass es um 1 mm pro Jahr wächst. Im Gegenzug ist dann bei der Entwässerung, das Schrumpfen bis zu 2 cm pro Jahr. Daran kann man die Zerstörung sehen. Als man damals den Torf entnommen hat, wusste man das noch nicht. Und heute weiß man, dass der Torfabbau eine absolute Katastrophe war. Manchmal hat man hier noch Torfmächtigkeiten bis zu sieben Meter. Unsere Aufgabe ist es, das, was noch an intakten Moorkörpern vorhanden ist, zu renaturieren.
Hier kann man sehen, wie systematisch Torf gestochen und entnommen wurde und über den Weg abtransportiert. Es gab zum Teil auch Eisenbahnen, die sie dafür gebaut haben.
© Tonia Christie
Wird Torf heute in der Form noch abgebaut?
In Niedersachsen gibt es noch Torfabbau, was ich schlimm finde. Da werden dann Moore bis auf einen Meter der Torfmächtigkeit abgetragen und renaturiert. Die Bundesländer sind da ganz unterschiedlich. Wir wollen das Moor als Ganzes schützen und ein Biotop herstellen und in den großen Mooren Wildnis schaffen. Man ist ja wieder so romantisch und möchte gerne mehr Wildnis haben. Aber wenn du ein Moor mit einem Bagger richtig renaturiert hast, dann kommt man nie wieder mit einem Gerät hinein. Da ist dann für immer Wildnis. Deswegen sind Moore dann bei uns auch Wildnis-Entwicklungsgebiet. Die Definition ist unterschiedlich – auf Landesebene denkt man kleinräumig und auf Bundesebene sagt man, ein Wildnisgebiet muss mindestens 500 Hektar groß sein, damit es überhaupt sinnvoll ist. Das muss ja ein in sich geschlossenes System sein.
Hier sieht man vom Torfdamm aus, eine alte Überwegung zum Abbauen des Torfes.
Wenn man auf dem Weg hier entlang geht, merkt man, dass er ein bisschen nachgibt beim Gehen. Nichts für schwache Nerven! Es ist schon einmal ein Bagger im Moor versunken. Da guckte oben nur noch die Schaufel raus. Es hat vier Wochen gebraucht, um ihn zu bergen, mit einer eigen gebauten Rampe und einer Seilwinde. Die Bagger sind Spezialgeräte, die umgebaut werden, bevor sie auf den Moorbaustellen zum Einsatz kommen. Mit langen und breiten Ketten. Die Fahrer müssen geschult sein. Wenn man das nicht richtig macht, dann kann es eben passieren, dass ein Bagger absäuft.
Was fasziniert dich am Moor?
Die Ruhe, die sie ausstrahlen. Das erdet einen. Für mich ist es schön, wenn ich mit der Örtlichkeit meinen Frieden habe. Dann fühle ich mich richtig wohl. In vielen Mooren kenne ich den Bürgermeister oder die Landwirte vor Ort. Es gibt nichts Störendes von außen – zum Beispiel einen Jäger, mit dem ich im Streit bin. Das ist ganz wesentlich. Es ist ein friedlicher Ort und das zieht viele an. Den ganzen Tag hört man immer nur „Corona, Corona – die Welt ist so grausam!“ Und dann steht man im Moor und fühlt sich wie in einer schönen Parallelwelt, die einem ein Gleichgewicht gibt. Das finde ich das Besondere an Mooren. Es ist einfach rundum etwas Schönes. Wundervoll [lacht].
Wittmoor © Tonia Christie
Was bedeutet MoorFutures?
Moorrenaturierung ist sehr anspruchsvoll. Auf solchen Baustellen arbeiten bis zu fünf Bagger gleichzeitig. Das kostet viel Geld. Wir müssen die Flächen kaufen und bereitstellen etc. Zum Teil machen wir das mit öffentlichen Mitteln, aber die reichen eben nicht und deswegen haben wir über unsere Ausgleichsagentur, die eine hundertprozentige Tochter von uns ist, MoorFutures geschaffen. Zusammen mit Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Was dahinter steckt: Wir haben ein bestimmtes Areal renaturiert und es gibt zertifizierte Rechenmodelle, die ausrechnen, wieviel CO2 damit eingespart werden kann. Diese Rechnung kann man den Baukosten gegenüberstellen und ausrechnen, was eine Tonne eingespartes CO2 kostet. Das ist übrigens das, was man in der Politik Vermeidungskosten nennt. Also was kostet eine Tonne vermiedenes CO2? Für Biogasanlagen liegt die bei 260 Euro pro Tonne, bei Mooren liegt man bei 40 Euro pro Tonne. Es ist eine günstige Möglichkeit, CO2 zu sparen. Deswegen ist es auch so in den Fokus der Politik geraten. Wir möchten es Privatmenschen ermöglichen, über solche Projekte ihre eigene CO2-Bilanz aufzubessern. Eine Tonne eingespartes CO2 ist ein MoorFutures und kostet 65 Euro und es ist alles zertifiziert. Ich finde es ganz wichtig, dass das Geld, das dort reingesteckt wird, auch wirklich dort ankommt. Wir sind ja eine nicht kommerzielle Organisation, eine öffentlich-rechtliche Stiftung, das heißt, alles was wir an Gewinn abschöpfen, geht wieder in ein Naturschutz- projekt. Niemand darf sich daran bereichern. Ich finde das ist eine ganz tolle Sache. Eine CO2-Tonne kann auch über ein Dritte-Welt-Projekt kompensiert werden, denn dem Klima ist es letztendlich egal, wo etwas eingespart wird, und so kommt man günstiger dabei weg. Viele fragen aber nach und wollen in regionale Projekte investieren und etwas Gutes für die Natur tun. Alles ist transparent, die Einsparpotenziale sind ganz konservativ gerechnet.
© Leif Rättig
Du hattest in einem Vorgespräch erwähnt, dass die Politik sich das Thema Moore und Nachhaltigkeit als Klimaziele auf die Fahnen geschrieben hat – was bedeutet das konkret?
Das hat einen einfachen Grund. Man erkennt, wie hoch der Anteil der Moore an der CO2-Emission ist, und wie günstig es ist, über eine Renaturierung CO2 einzusparen. Gleichzeitig tut man etwas Gutes für die Umwelt. Wir haben ja den Green Deal und immer mehr Verpflichtungen, CO2 einzusparen, und die Politik wäre ja bescheuert, wenn sie das nicht machen würde. Die Frage ist, wer damit angefangen hat und wer sich das am Ende auf die Fahnen schreiben kann. Deswegen hat sich eine Dynamik entwickelt. Es gibt zwar schon seit einigen Jahren beim Umweltbundesamt Studien zum Thema Moorschutz, aber eigentlich war das Thema immer tabu, da auf vielen Moorflächen noch Landwirtschaft betrieben wird. Ich arbeite an Programmen, in denen ich Alternativen schaffen möchte, um Landwirten ein anderes Betriebsmodell vorzuschlagen. Sie müssen nicht Milch produzieren, sondern könnten auch „Klimawirt“ sein. Sie machen eine Dienstleistung für das Klima und verdienen damit Geld. Wenn wir sagen, wir arbeiten mit der Landwirtschaft zusammen, sind wir glaubwürdiger und die Politik auch und es ist gleichzeitig in die Zukunft gerichtet. So wird für mich etwas Ganzheitliches daraus. Wir müssen die Landwirtschaft mitnehmen und nicht gegen sie arbeiten. Und ich finde es wichtig, dass die Landwirtschaft an diesen Prozessen gefallen findet. So gibt es verschiedene Ansätze, Projekte für Landwirte zu planen. Zum Beispiel, dass Landwirte Betriebsmodelle entwickeln können, weil sie Dienstleistungen für den Naturschutz und insbesondere für den Klimaschutz machen. Es gibt eine Bezeichnung dafür: Moorklimawirt. Man produziert keine Milch, sondern betreibt Wiesenpflege bei hohen Wasserständen. Das ist deswegen nicht so einfach, da die Landwirte ihren ganzen Betrieb umbauen müssen. Sie brauchen andere Rinderrassen, Ställe und Maschinen. Der Umbau dauert viele Jahre, aber ich finde es ganz maßgeblich, Anreize und monetäre Grundlagen zu schaffen, um es zu ermöglichen. Das fordert ganz viel Vorarbeit. Bei einem Projekt, das ich mit jemandem zurzeit betreue, geht es konkret darum, den Zusatzaufwand zu messen. Was leistet der Landwirt gerade zusätzlich zu dem, was er machen muss, aufgrund von Pachtverträgen mit uns? Wie kann das gemessen werden? Stundenweise oder über eine Hektarzahl? Man braucht eine definierte Grundlage, um den Leuten am Ende auch Geld geben zu können.
Was meinst du genau mit Messen?
Der Landwirt bekommt ein Handy mit GPS zum Beispiel, sodass man merkt, wann er wieder auf der Fläche ist oder läuft es über Vertrauen? Im Moment arbeiten wir mit Tabellen, in denen die Arbeitszeiten stehen. Es ist relativ komplex, wer kontrolliert das? Man braucht es als verlässliche Grundlage, um Mittel einzusetzen. Ein anderer Ansatz, der schon lange im Gespräch ist, sind sogenannte Naturschutzhöfe. Das gibt es in Niedersachsen. Landwirtschaftliche Betriebe, die komplett vom Land bezahlt werden, aber auch komplett Dienstleistung machen. Die Vorstellung haben viele Landwirte, das funktioniert aber nicht so hundertprozentig. Ein Betrieb, bei dem wir das gerade durchexerzieren, finanziert sich zu dreiviertel Prozent durch die Fleischmast selber und durch bestimmte Prämien von der EU, die jeder Landwirt bekommt. Aber es fehlt eben ein Viertel, damit er das Gleiche verdient wie ein Milchbauer. Für die Politik muss es spannend sein, dieses Viertel abzudecken und dann zu sagen, ich habe auch einen Landwirt, der mir diese Dienstleistung bringt. Das kann man hinkriegen, indem man die Vermeidungskosten vorrechnet und der Politik veranschaulicht – damit wird so viel CO2 eingespart und es wird etwas für die Landwirtschaft getan, es bietet verlässlich alternative Betriebseinnahmen, mit denen die Betriebsinhaber kalkulieren können – besser als beim schwankenden Milchpreis. Ein ganzheitlicher Ansatz und wieder eine Win-win-Situation.
Hast du einen Lieblingsort oder eine Lieblingszeit im Moor?
Alle Moore sind auf ihre Art irgendwie schön. Aber ich habe mehrere Lieblingsmoore. Das Hartshoper Moor, das Tetenhusener Moor oder das Südermoor bei Süderstapel. Es gibt schöne idyllische Ecken, wo man sitzen und die Sonne genießen kann. Ich kenne ja fast jeden Quadratmeter und im Sommer, wenn ich im Gelände unterwegs bin und abends nichts vorhabe, dann denke ich oft, ach, jetzt bin ich schon mal da, da kann ich mich ja noch ein bisschen umgucken – und zack ist es zehn Uhr abends und die Sonne geht unter.
Du bist auch DJ und hast regelmäßig, vor Corona, in einem Club Soul-Platten aufgelegt. Was machst du jetzt, wenn du nicht auflegen kannst?
Im Moment höre ich viel Internetradio, tolle unkommerzielle Sender aus London und San Francisco.
Seit wann bist du schon DJ?
Früher habe ich meinen Lebensunterhalt damit verdient, neben dem Studium. Ich habe zehn Jahre lang wöchentlich einen Clubabend mit Funk- und Soul- Musik in Kiel in der Pumpe veranstaltet. Wir waren zwei DJs und haben uns abgewechselt. 2008, als meine Tochter geboren wurde, habe ich damit aufgehört und vier Jahre später, die SoulOn-Reihe gestartet, die super schön ist. Wir legen in einer Off Location in einem alten Tennisclub auf, der noch so 70er Jahre mäßig eingerichtet ist und zentral in Kiel liegt. Das Besondere ist, dass dieser Abend nur über Netzwerke funktioniert. Minimal über das digitale Netzwerk. Wir machen keine Werbung dafür, es steht nirgendwo in der Zeitung, es spricht sich herum und dann kommen 300 bis 400 Leute in unserem Alter und treffen sich dort alle zwei Monate zum „Allnighter“ und haben eine Plattform. Draußen gibt es eine Feuertonne zum Aufwärmen und drinnen den Dancefloor zum Abtanzen.
SoulOn-Abende in Kiel © Leif Rättig
Deine Plattensammlung ist riesig – wie viele Platten besitzt du?
Fünf-, sechs-, siebentausend vielleicht.
Hast du noch einen Überblick?
Ich weiß, welche Lieder ich noch auf Platten habe. Mehr oder weniger [lacht].
Aus welchem Jahr kommt die Musik, die du spielst?
Für den SoulOn-Abend beschränkt sich das auf die 60er und 70er Jahre – wir spielen da viel Northern- und Modern-Soul. Ich habe aber viele verschiedene Sets, die ich abspiele, auch Disco Funk aus den 80ern, das erinnert mich an meine Jugend in Hamburg mit den ersten Clubbesuchen. Oder Neo Disco Musik, mit modernen Synthesizern produzierte Lieder, die wie in den 80ern klingen, nur moderner. Aber die Lieder passen zusammen. Die Leute haben die Soul-Abende geliebt, weil sie wussten, was sie erwartet. Das hatte etwas Bodenständiges. Für mich ist es wichtig, einen Job mit Leidenschaft zu machen. Wenn ich von der Sache überzeugt bin, bin ich glaubwürdig und gut.
Gibt es Pläne für die Zukunft?
Wir sind drei DJs und haben natürlich überlegt, ob wir Sets online stellen, als es mit Corona losging, aber unsere Musik ist so speziell. Manchmal gehe ich in Hamburg oder Berlin in einen Plattenladen und halte mich den ganzen Tag dort auf und gehe dann mit einer einzigen Single wieder nach Hause. Dahinter steckt immer viel Arbeit und ich habe den Anspruch, dass es, neben der Tatsache, dass es selten ist, auch zu meinem Stil passt und für einen Tanzabend geeignet sein muss. Und dass der Song eine bestimmte Aussage haben muss. Deswegen ist es schwer, die richtigen Songs zu finden und wenn man die zu oft spielt, „verbrennen“ sie irgendwann. Dann will die keiner mehr hören. Wir drei sind damit sehr geizig und haben zu Corona-Zeiten auch kein Set gemacht, um es zu streamen. Andersherum funktionieren unsere Partys auch nicht mit Einschränkungen. Da wurde umarmt, geknutscht, ein Cocktail zusammen getrunken. So funktioniert es eben nur. Wir waren uns einig, solange es Corona gibt, sind wir offline. Eigentlich bräuchten die Leute jetzt in diesen Zeiten genau solche Abende. Eine Idee von mir ist, ein „Durchhalte-Set“ zu machen, um die Leute bei Laune zu halten und zu zeigen: Es gibt uns noch.
12/2020