"Mich interessieren Bücher, die mehr Fragen stellen als Antworten geben"
Im Interview mit Thies Ibold, Herausgeber des Buches "A Warburg Workbook" über freies Arbeiten ohne Druck und ovale Spannungen in eckigen Räumen.
Lieber Thies, woher kam die Idee, ein Workbook über Aby Warburgs Ideen und das Warburg-Haus zu machen?
Seit 14 Jahren werde ich immer wieder im Warburg-Haus in Eppendorf als Fotograf gebucht. Ich habe dort Buchpräsentationen und Feierlichkeiten der Universität Hamburg fotografiert. Das Warburg-Haus gehört der Warburg-Stiftung und ist eine eigenständige Institution. Die Universität Hamburg nutzt das Haus aber viel für Tagungen, Kongresse und Feierlichkeiten. Das Alltägliche der Projektarbeit befriedigt einen begrenzt, weil man im Auftrag arbeitet und wenig Raum und Möglichkeiten hat, eigene Ideen umzusetzen. Nachdem ich das Team besser kennengelernt hatte, kam die Idee auf, eine freie Arbeit zu machen. Eine freie Arbeit ohne Druck, ohne zeitliche Begrenzung und finanzielles Limit, das war die Grundidee.
Kamen dann weitere Ideen dazu, während du an Projekten im Warburg-Haus gearbeitet hast?
Es kamen zwei Dinge zusammen. Vor meiner Arbeit im Warburg-Haus habe ich für das Literaturhaus fotografiert. Da gab es jemanden, dem ich mich gerne über den Auftrag hinaus, die Lesung zu fotografieren, journalistisch genähert hätte. Das war Richard Powers, ein amerikanischer Autor, der mich in vielerlei Hinsicht fasziniert hat. Er ist Physiker und ein ungewöhnlicher Mensch, weil er verschiedene Genres so miteinander verbindet, dass er daraus eine Art von neuem Denken kreiert. Das kannte ich bis dahin noch nicht. Ungewöhnlich ist auch, dass er seine gesamten Bücher seit vielen Jahren spricht. Er hat eine Kapazität in seinem Hirn, die es ihm ermöglicht, vorzuformulieren und diese Erzählstränge beizubehalten, ohne überhaupt auch nur eine Zeile zu schreiben. So entstand die Idee, 24 Stunden im Leben von Richard Powers als Fotoessay zu fotografieren. Das ließ sich dann aber leider zeitlich nicht umsetzen und jetzt sind wir wieder beim Warburg-Haus: diese Idee wollte ich gerne transferieren auf das Leben eines Warburg-Gastprofessors.
© Thies Ibold
Der Titel deines Buches ist A Warburg Workbook – könnte man sagen, es ist eine Mischung aus Biografie und Fotoband?
Es ist zunächst einmal ein Fotoband, das hat viel mit Aby Warburg zu tun, der eher wenig in seinem Leben geschrieben hat. Er hatte oft Bildtafeln als Grundlage, mit denen er auch seinen Bilderatlas zusammengestellt hat. Er hat viel verknüpft. (In den 1920er Jahren entwickelte der Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg (1866–1929) seinen sogenannten Bilderatlas Mnemosyne, der wiederkehrende visuelle Themen und Muster von der Antike über die Renaissance bis zur Gegenwartskultur nachzeichnet.) Dazu muss ich sagen, ich bin kein Kulturhistoriker, das könnten andere besser erklären. Das Workbook heißt Workbook, da es ein offenes Feld von Ideen, Austausch und Hinterfragung ist. Mich interessieren Bücher, die mehr Fragen stellen als Antworten geben – die mich zum Denken anregen.
Im Warburg-Haus gibt es unter dem Dach eine Wohnung für Gastprofessoren, was sehr ungewöhnlich ist, denn meistens werden Gastdozenten in den Gästehäusern oder in Pensionen untergebracht. Ich habe es mir interessant vorgestellt, wenn ein Gastprofessor, kurz bevor er am Abend zu Bett geht, noch eine Idee hat. Er hat ja die Schlüsselgewalt für das gesamte Haus. Bis morgens um acht oder neun, bis die ersten Angestellten kommen, ist sonst keiner im Haus. Er hätte dann die Möglichkeit im Morgenmantel durch das Haus zu wandern. Es wäre toll gewesen, das fotografisch umzusetzen. 24 Stunden im Leben eines Warburg-Gastprofessors. Damit habe ich auch angefangen und die ersten Fotos des Projekts hat Professor Martin Warnke gesehen und mich sehr bestärkt, das Konzept auszubauen.
Welche Rolle spielte Martin Warnke, Kunsthistoriker und ehemaliger Leiter der Forschungsstelle des Warburg-Hauses für dich und in dem Buch?
Martin Warnke war ein ununterbrochener Motivator. Er ist ja leider vor vier Monaten (Dezember 2019) mit 82 Jahren verstorben und ohne jetzt in Pathos abzuschweifen, würde ich sagen, dass Martin Warnke einer der freundlichsten und angenehmsten Menschen mit einer unglaublichen Geduld war, den ich je kennengelernt habe. Näher kennengelernt habe ich ihn vor zehn Jahren. Im Auftrag vom C.H. Beck Verlag, habe ich Portraitfotos von Martin Warnke erstellt. Der Verlag hatte für sein Handbuch der politischen Ikonografie, sein Großwerk mit drei Werken, keine frei verfügbaren Fotos von ihm. Bei der Fotoproduktion waren wir das erste Mal allein unter vier Augen und ich habe einen ungewöhnlich neugierigen Menschen kennengelernt. Wenn man ihn etwas fragte, drehte sich das Gespräch schnell um 180 Grad und auf einmal sollte man selbst erzählen. Ein Ausdruck seines großen Interesses an seinem Gesprächspartner und am Rest der Welt. Ich wollte ihn unbedingt als Autor für die Fotoessays gewinnen. Er ist Leibniz Preisträger für das Fach Kunstgeschichte (der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ist der wichtigste Forschungsförderpreis in Deutschland) und Wieder -einrichter des Warburg-Hauses gewesen. Wenn man zum Getty Center in Los Angeles in das sogenannte Research Institute fährt, hängt an der Wand ein großes Foto von Martin Warnke. Er hat eine Strahlkraft auf kunsthistorisches, wissenschaftliches Arbeiten weltweit. Von ihm wünschte ich mir einen Text für A Warburg Workbook, auch wenn er mir nur drei Zeilen geschrieben hätte. Ich hatte ihm einen Dummy von dem ersten Kapitel gegeben und den hat er erst mal komplett auseinandergenommen. Er hat die gesamte Reihenfolge geändert, wobei ich dachte, dass ich schon eine klare Dramaturgie hatte. Er hat dann Bildunterschriften geschrieben, aber keinen zusammen- hängenden Text. Erst später habe ich herausgefunden, was dahintersteckte. Martin Warnke hatte in den letzten Jahren diverse Anfragen, Bücher zu schreiben, aber er hatte praktisch alles abgelehnt. Aus welchen Gründen auch immer. Es ging nach seinen Vorstellungen verständlicher Weise nicht, dass er für dieses Workbook etwas schrieb, nach dem Motto, für die einen ja, für die anderen nein. Ich zog Karen Michels und Thomas Gilbhard zurate und zusammen kamen wir auf die Idee, ein Interview mit Martin Warnke zu führen, weil ein verschriftetes Interview vermutlich für Herrn Warnke keine Probleme mit sich bringen würde. Thomas Gilbhard und Karen Michels sind zwei wesentliche Mitstreiter des Projektes. Karen Michels ist auch Autorin, Thomas Gilbhard ist Leiter der Bucerius Bibliothek im Museum für Kunst und Gewerbe. Durch seine Begeisterung für Aby Warburg ist er auch oft im Warburg-Haus und forscht dort in verschiedene Richtungen. Sie kennen beide Martin Warnke noch viel länger als ich. Karen Michels hatte im Auftrag der Kulturbehörde mit Martin Warnke das Warburg-Haus wieder eingerichtet, um es in den 90er Jahren wiederzueröffnen. Martin Warnke begrüßte also den Vorschlag. Ich bereitete das Interview konzeptionell vor, formulierte die Fragen und führte es mit ihm durch. Benjamin Fellmann kam gegen Ende spontan hinzu.
© Thies Ibold
Wie lange hat die Umsetzung gedauert?
Das Buch ist innerhalb von dreieinhalb Jahren entstanden. Es war ein langer Prozess mit einigen Phasen, in denen es wenig voran ging, weil sich geplante Vorhaben nicht umsetzen ließen. Es ist jetzt in einer Auflage von 350 Exemplaren gedruckt worden. Zehn Autoren haben für das Buch exklusiv geschrieben und insgesamt 30 Menschen mit-gearbeitet. Zum Teil mit einem enormen zeitlichen Aufwand. Da ich keinen Etat für dieses Buch hatte, habe ich mit allen den Deal klar
geäußert – wer mitarbeitet, bekommt ein Buch. Und wer mitgearbeitet und mitgeschrieben hat, bekommt zwei Bücher. Keine Regel ohne Ausnahme: die Person, die alles übersetzt hat – das ganze Buch ist komplett in Deutsch/Englisch, bekam mehrere Bücher als Anerkennung für ihre unendliche Arbeit.
Wer hat es übersetzt?
Fiona Sangster, sie ist Fachübersetzerin.
Woher kennst du sie?
Ich kenne sie aus Jugendzeiten. Aus unserer gegenseitigen Liebe zur Musik – ich habe mit meinem Bruder zusammen, neun Jahre lang das Musikmagazin willkürakt? produziert und Fiona hat in der Band Xmal Deutschland gespielt, die in England sehr erfolgreich war. Wir hatten von Anfang an über die Band geschrieben und so lernten wir uns kennen und schätzen. In dem Workbook sind viele kryptische Texte, die nicht einfach zu übersetzen waren. Fiona war so edel – obwohl sie ein professionelles Übersetzungsbüro hat und es ein unendlich hohes Honorar gewesen wäre – alle Texte ohne Honorar zu übersetzen.
Du hast im Vorgespräch von einer ovalen Spannung im Warburg-Haus gesprochen – was meintest du damit?
Aby Warburg hat in Eppendorf, Winterhude, in der Heilwigstraße 114 gewohnt und das Nachbargrundstück direkt daneben erworben. Weil seine Sammelleidenschaft für Bücher das Privathaus sprengte, entstand die Idee, auf dem Nachbargrundstück eine eigens dafür konzipierte Bibliothek zu planen. Aby Warburg war bekannt dafür, dass er nichts dem Zufall überließ. Es wurde lange überlegt, welche Form
der Hauptraum der Bibliothek bekommen sollte. Aby Warburg vertrat die Ansicht, dass man in Räumen, wo eine gewisse Spannung herrscht, länger wach bleibt. Das Oval mit seinen zwei Polen empfand er offenbar als die dafür ideale Form. Zudem war er begeistert von den Thesen von Kepler (Die drei Keplerschen Gesetze sind die fundamentalen Gesetzmäßigkeiten des Umlaufs der Planeten um die Sonne). Sein Interesse am Oval ging so weit, dass er nach Scharbeutz reiste, um dort Albert Einstein zu treffen. Albert Einstein gilt als Verfechter der idealen Form des Kreises. Aby Warburg hat sich wohl tatsächlich darüber mit Albert Einstein auseinandergesetzt, was letztendlich die interessantere Form sei – der Kreis oder das Oval.
Auf deinen Merchandise-Artikeln, wie Taschen und Sticker, ist auch eine ovale Form zu sehen.
Ja, das ist die Lichtdecke des ovalen Vortragssaals im Warburg-Haus. Das Stadthaus hat einen weit in den Garten hineinragenden Baukörper, das ist der sogenannte Lese- und Vortragssaal. Gut die Hälfte ist mit Bücherwänden gesäumt, die auch im Oval gebaut sind. Der Raum hat eine geradezu magische Ausstrahlung. Er ist höchst ungewöhnlich und hat tatsächlich eine besondere Art von Spannung. Unterstrichen wird diese Form von der ovalen Lichtdecke. Da die Decke größtenteils beschädigt war, als das Haus in den 90er Jahren wieder eingerichtet wurde, hat man lange nach jemandem gesucht, der diese Lichtdecke rekonstruieren konnte. Letztendlich war es ein Handwerksbetrieb aus den Niederlanden, der die große Lichtdecke in gleicher Größe und Dimension wieder nachbauen konnte.
Was ist dir persönlich beim Fotografieren im Warburg-Haus auf-gefallen? Gab es etwas, was dich fasziniert hat?
Es gibt wenig, was original erhalten ist. Die Familie Warburg waren Juden und 1933 ist die gesamte Bibliothek einschließlich aller Regale mit zwei Frachtschiffen unter abenteuerlichen Umständen in die Immigration nach London geschifft und später auf dem Campus der Univercity of London wieder aufgebaut worden. Das Haus in Hamburg blieb leer zurück. Die Familie Warburg musste in die Immigration gehen. Aby Warburg hat das alles selbst nicht mehr erlebt, weil er bereits 1929 gestorben ist. Mitte der 90er Jahre wurde das Warburg-Haus wieder eingerichtet, aber es war fast nichts mehr von der damaligen Inneneinrichtung vorhanden. Es gibt in Hamburg wenig von dem ursprünglichen Besitz Aby Warburgs. Mit zwei Ausnahmen: Er hatte, das kommt auch in dem Workbook vor, nicht nur die Idee, wie man den Wasserturm im Stadtpark in ein Planetarium umfunktionieren konnte, sondern er hatte auch die gesamte Grundbibliothek des Planetariums ausgestattet, einschließlich einiger wissenschaftlicher Instrumente. Und das Völkerkundemuseum, das inzwischen MARKK heißt, verdankt Aby Warburg die Schenkung für die Amerika-Sammlung von über 100 Artefakten. Das sind die Dinge, die noch heute in Hamburg existieren. Herr Warnke hat mich darauf hingewiesen, dass im Heizungskeller des Warburg-Hauses die original Eingangstür zum Lesesaal herumlag, verstaubt und vergessen. Heute ist die Tür wieder am Originalplatz eingebaut. Bevor das Warburg-Haus als Forschungsstätte wieder eingerichtet wurde, waren dort Film-produktionsfirmen untergebracht und nach dem Krieg wurde dort die erste Tagesschau produziert. Das Haus hat also eine sehr lebhafte Geschichte.
Aby Warburg war in gewisser Weise ein Revolutionär – diesen Begriff würde er selber vermutlich nicht benutzen. Er kam aus einer konservativen Familie, die Bankgeschäfte betrieb und Bankgeschäfte und Revolutionär, das geht eigentlich nicht zusammen, das gibt es nur in der Portugiesischen Literatur. Aber um ein anderes Wort zu verwenden, Aby Warburg war ein großer Erneuerer – dem technischen Fortschritt aufgeschlossen. Dieses Haus hat mehrere dutzend Telefone gehabt, was zu der Zeit, Mitte der 20er Jahre, ganz wenige Ein-richtungen in der Stadt überhaupt hatten. Es gab eine beeindruckende Reproduktionsabteilung für die Bildertafeln. Es wird zumeist von den Büchern gesprochen, aber dass es mehrere zehntausend Bildertafeln gab, das wird heute kaum erwähnt. Bücher sieht jeder vor sich in der Bibliothek, aber die Bildertafeln lagerten in Kartons, für viele Betrachter weniger greifbar und als weniger wertvoll angesehen als Bücher.
© Thies Ibold
Wie ist die Struktur des Workbooks aufgebaut?
Ich hatte großes Interesse daran, eine Dramaturgie hineinzubringen. Aby Warburg hat nichts dem Zufall überlassen, das war Ansporn und Verpflichtung für uns zugleich. Wenn im Buch die Büste von Aby Warburg auftaucht und eine Lampe genau auf Kopfhöhe auf der gegenüberliegenden Seite hängt, dann ist das Layout kein Zufall, sondern es geht um Erkenntnis, um Licht und um Zusammenhänge. Unser Ziel war, jede Doppelseite so zu gestalten, dass sie auch für sich alleine stehen kann. Aber die Dramaturgie des Buches sollte über-greifend sein mit dem Gedanken: Aus dem Dunkeln kommend, um im Hellen zu münden. Das Dunkle ist die Unwissenheit und es endet im Licht, nach dem Wunsch der Erkenntnis, das Streben dorthin. Die ersten und letzten Seiten des Buches, die normalerweise nicht bedruckt sind, haben wir bewusst bedruckt, damit das Buch diese geschlossene Art von Dramaturgie bekommt.
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert: Das erste Kapitel ist eine Spurensuche im Warburg-Haus, dafür hat Herr Warnke viele Stücke extra aus den Tresoren und Archiven herausgeholt, die bisher noch nie in einem Buch veröffentlicht wurden. Dieses Kapitel beinhaltet auch ein Interview mit Herrn Warnke, in dem es um die Frage geht, warum ovale Grundrisse und Formen interessant sind. Darauf folgt eine Doppelseite, wo Herr Warnke mit David Freedberg, Professor an der Columbia Univercity New York und ehemaliger Direktor The Warburg Institute London, zusammentrifft. Danach folgt ein Text von David Freedberg, der exklusiv für das Warburg-Workbook die 50 Jahre seiner
Aby-Warburg-Forschung beschreibt. Ein leidenschaftliches Plädoyer für das Warburg-Haus von Salvatore Settis, Warburg-Gastprofessor 1990, bildet den dritten Text.
Das erste Kapitel endet mit einem weiteren Teil des Fotoessays im Halbdunkeln, mit einem Foto der beiden großen Leuchten, die im Vorgarten des Warburg-Hauses stehen. Aby Warburg hat diese beschrieben als „Seezeichen im Meer der Unwissenheit“.
Im zweiten Kapitel wird die Spur eines Sofas weiterverfolgt, das
jahrzehntelang im Warburg-Haus im Büro der Gastprofessoren stand. Das Sofa zeigt eine unglaubliche Geschichte und Verknüpfung zwischen zwei Hamburger Familien, der Familie Sieveking und der Familie Warburg auf.
Im dritten Kapitel geht es darum, wie es sich als Gastprofessor im Warburg-Haus lebt. Exemplarisch festgemacht an zwei Gastprofessoren: Peter Krieger 2016 und Jörg Jochen Berns 2017, der dazu den Text geschrieben hat – ein Juwel in diesem Buch.
Im vierten Kapitel hat Karen Michels, die schon mehrere Bücher über Aby Warburg veröffentlicht hat, über zwei Dinge geschrieben: Über die Auseinandersetzung Aby Warburgs mit dem Bismarck-Denkmal am Stintfang und über Hapag Lloyd. Aby Warburg hatte einen Bruder, Max Warburg, der die Bankgeschäfte führte. Und der war sehr eng befreundet mit Albert Ballin, dem Gründer und Chef von Hapag Lloyd.
Mir war auch wichtig, den Kösterberg, das Familienanwesen in Blankenese zu erwähnen. Dort gibt es am Elbhang im Römischen Garten ein ovales Freilufttheater.
"Aby Warburg hat nichts dem Zufall überlassen"
Das Sofa auf dem Titelbild, das du schon erwähnt hast, war lange ein Bestandteil des Warburg-Hauses und steht jetzt bei dir im Studio. Wie bist du zu dem Sofa gekommen oder wie kam das Sofa zu dir?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Aby Warburg war, wie schon erwähnt, mit Heinrich Sieveking befreundet, der einem Ruf als Universitätsprofessor nach Hamburg folgte. Heinrich Sieveking hatte in Othmarschen am Zickzackweg eine Villa erworben und dort zur gleichen Zeit wie Aby Warburg eine große geräumige Bibliothek aufgebaut. Die beiden haben sich oft besucht und der Platz in Othmarschen, wo sie sich am liebsten über die Welt austauschten und über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse debattierten, war dieses Sofa. Das Sofa ist über diverse Umwege und Kriegswirren in die Hände eines direkten Nachfahrens von Heinrich Sieveking gekommen, der Hinrich Sieveking heißt, und da schließt sich wieder ein interessanter Kreis, denn Hinrich Sieveking war wiederum mit Martin Warnke eng befreundet.
Martin Warnke und Hinrich Sieveking vor dem Warburg Sofa
© Thies Ibold
Martin Warnke nahm die Stadt in die Pflicht, das Haus zurück-zukaufen, um es als Warburg-Haus, als wissenschaftliche Einrichtung zu überführen und neu ausbauen zu lassen. Das gesamte Haus war aber leer. Hinrich Sieveking, der ein umtriebiger und sehr engagierter Mensch ist, hatte innerhalb seiner weit verzweigten Familie um Unterstützung für das Warburg-Haus geworben. In der Form, dass, vom Stil her passend, Möbel aus den 20er Jahren dem Warburg-Haus überlassen wurden. Und dieses Sofa war auch dabei. Das Sofa ist in einem mäßigen Zustand, Restauratoren würden von einem Totalschaden sprechen. Eine Restaurierung würde um die acht- bis zehntausend Euro kosten. Die jetzige Leitung des Warburg-Hauses wollte das Sofa entsorgen und bot es mir an. Ich habe es direkt dort abgeholt. Es wurde mit Schenkungsurkunde besiegelt. Es ist etwas ungewöhnlich für mich, da ich kein Sammler bin. Aber sonst würde es gar nicht mehr existieren. Deshalb steht es jetzt hier im Studio, ist zu Gast hier und wird vor dem weiteren Verfall beschützt und ich würde es begrüßen, wenn sich weltweit eine passende öffentliche Institution findet, wo das Sofa künftig ausgestellt werden kann.
Wo ist das Workbook erhältlich?
Das Buch kostet 39,90 Euro pro Stück, verschiedene Sondereditionen sind zudem erhältlich. Der Verkauf läuft über das Internet: https://a-warburg-workbook.org/ mit Bestellforum. Das Workbook ist auch im Museumsshop für Kunst und Gewerbe und in der Bucerius Bibliothek erhältlich und dort, wo die aktuellen Ausstellungen sind. Es wird zudem über zwei Galerien vertrieben, die Galerie Renate Kammer am Münzplatz 11 und im Multiple Box in der Admiralitätsstraße 76, weil wir gerne im westlichen Teil der Innenstadt auch eine Verkaufsstelle haben wollten. Weitere Verkaufsstellen sind in Vorbereitung.
Im Video: Thies Ibold erzählt über den Aufbau und die Gestaltung des Warburg Workbooks.
Wie sieht die Zukunft des Workbook aus?
Ich wollte nicht ein abgeschlossenes Buch schaffen, das in den Regalen verschwindet, sondern im Idealfall soll es eine Art von Plattform für Wissensaustausch werden. Das ist erst einmal ein hoher Anspruch und Wunsch, aber wir treiben jetzt Konzepte für Veranstaltungen voran. Wir sind im Kontakt mit dem Direktor des Warburg Institute in London, Bill Sherman. Bei unserem letzten Treffen sagte er – „maybe the next Warburg Workbook Event should take place in London“. Vielleicht gibt es da eine Fortsetzung als zweites Buch. Dafür bräuchten wir aber einen Etat, denn das wäre nicht erneut möglich, ein Projekt von dieser Dimension selbst zu finanzieren. Im Moment ist eine große Sammelbestellung unterwegs zum Getty Center nach Los Angeles. Am Research Center vom Getty Research Institute gibt es die dritte bedeutende Forschungsstelle zu Aby Warburg. Es gibt für die Aby-Warburg-Forschung sozusagen drei Pole auf der Welt: Hamburg, London und Los Angeles, aber auch Forschungseinrichtungen in Italien sind sehr aktiv. Obwohl Aby Warburg seit 90 Jahren nicht mehr lebt, hat vor zwei Jahren ein großer Aby-Warburg-Kongress in China stattgefunden. Seine Bedeutung ist auch heute noch enorm. Aktuell entwickeln wir Konzepte für Workshop-Formate rund um das Buch, um von den normalen Präsentationen abzuweichen, sie aufzubrechen. Denn zu jeder Art von neuem Denken und ausgetretene Pfade zu verlassen, ruft Aby Warburg allemal auf.
05/2020