Interview mit Luise M. Sommer  Gedächtnis-Expertin und Memo-Coach

Luise M. Sommer ist zweifache österreichische Gedächtnisweltmeisterin. Ihre Fähigkeiten, die Gedächtnisleistung des Gehirns zu trainieren, haben ihr schon einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde verschafft. Über ihre Leidenschaft für Merkmethoden hat sie zwei Bücher geschrieben und zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Zurzeit  befindet sie sich als Gedächtnis-Expertin auf einem Kreuzfahrtschiff und trainiert dort mit den Passagieren auf kreative Weise geistige Fitness. 

Frau sitzt an Deck eines Schiffes und lächelt in die Kamera
Luise Sommer an Deck der MS Nature © Luise M. Sommer

Liebe Luise, du befindest dich auf dem schönsten Arbeitsplatz der Welt, wie du es vor deiner Abreise ausgedrückt hast. Was hast du bis jetzt auf der Schiffsreise von Teneriffa nach Ushuaia erlebt?

Ich habe mich bewusst auf dieses Abenteuer eingelassen: Als an Land ansonsten spontaner Wirbelwind, bin ich nun fast drei Wochen nur auf See, umgeben von der Naturgewalt des Meeres, eingebunden in den Mikro-Kosmos eines  zugegeben wunderschönen – Schiffes. Das macht etwas mit mir. Ich bin gezwungen, loszulassen – und mich auf neue Perspektiven einzulassen. Es passt genau zu meiner derzeitigen Lebensaufgabe – und ist somit kein Zufall.

 

Wie sieht dein Tagesablauf aus?

Nach meist sehr erholsamer Nacht (ich liebe das Schaukeln des Schiffes) beginne ich den Tag mit Morgensport, mit unserer tollen Fitnesstrainerin Hannah, gefolgt von – falls es der Wellengang erlaubt – 20 Längen im Pool, den ich dann meist ganz alleine für mich habe. Nach spätem Frühstück mit wunderschönem Ausblick, ist Zeit für Vorbereitung meines Workshops am Nachmittag, oder für spontane Gespräche mit Gästen und den anderen sehr sympathischen Künstlerkolleg*innen hier an Bord.

Von 15:15 Uhr bis 16:15 Uhr ist mein Workshop angesetzt. Hier geht es bunt gemischt zu – von Passwörtern & Pin-Codes abrufsicher im Gedächtnis speichern, übers Namen Merken, bis hin zu „Es liegt mir auf der Zunge“ oder den besten Tipps fürs Vokabeln-Lernen, ist alles dabei.

 

Danach gibt es Zeit zum Lesen, Ausspannen oder einfach nur aufs Meer blicken. So oft es geht, besuche ich auch den Expertenvortrag. Das Abendessen hier an Bord findet immer in geselliger Runde, bei interessantem Austausch statt. Auch das engagierte Abendprogramm will genossen werden; hier wird viel Herzblut seitens der Entertainment-Verantwortlichen hineingelegt.

 

Wie bist du Gedächtnis-Expertin geworden?

1993 hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als sich mir in einem Vortrag von Prof. Gunter Iberer (Universität Graz), das Potential uralter antiker Merkmethoden erschloss. Ich trainierte dann Schüler*innen für Gedächtnis-Meisterschaften, nahm 2001 auch selbst daran teil und wurde als „Erste österreichische Gedächtnismeisterin“ zur "Guinness Show der Rekorde" in der ARD im Februar 2002 eingeladen. Danach riefen Unternehmen bei mir an: „Frau Sommer, das möchten wir gerne von Ihnen lernen!“. Das war der Sprung in mein 2. Standbein als Vortragende und Impulsgeberin zum Thema „Gutes Gedächtnis leicht gemacht“.

Was braucht es, um fit im Kopf zu bleiben und Ordnung im Gehirn zu schaffen?

Für mich sind es diese drei Dinge:

  • eine positive Einstellung zu meinem Gedächtnis („Das merk‘ ich mir!“)
  • mit möglichst ungeteilter Auf-MERK-samkeit durch den Alltag zu gehen („Tue das, WAS du tust“)
  • das Gehirn auch immer wieder einmal zu leeren: sich Naturfaszination hingeben, innehalten, meditieren … und sei es noch so kurz.

Darüber hinaus nicht zu vergessen: Alles, was wir für unsere körperliche Fitness tun, kommt auch unserer geistigen Beweglichkeit zugute.

 

Wie kann man das Gehirn im Alltag trainieren?

Am besten nach dem Motto: SmartPHONE ist gut ­- SmartBRAIN ist besser!      

Also: Zuerst googeln, dann merken. Mit kreativen Memo-Brücken Wissen in mein Wissensnetz einknüpfen, das mich interessiert. Und das ich dann in Zukunft NICHT mehr googeln muss. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich trainiere mein Gedächtnis – und vertiefe mein Allgemeinwissen.

Warum fällt dir das Einprägen von zusammenhängenden Zahlen, Namen und Begriffen so leicht?

·      Weil ich mir diese Dinge merken WILL.

·      Weil ich wirksame Werkzeuge dazu verwende.

·      Und das Wichtigste: Weil es mir Spaß macht.

 

Hast du eine besondere Begabung dafür?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich denke, das kann jeder lernen, der sich dafür begeistern kann. Viele haben oft Bedenken, sie seien für dieses „Denken in Bildern“ nicht kreativ genug. Ich habe aber festgestellt: Wenn man sich darauf einlässt, wird man kreativer, wendiger im Geist – auf beinahe selbstverständliche Weise.

 

Welchen Rekord hast du 2003 aufgestellt, um es ins Guinness-Buch der Rekorde zu schaffen?

Das war am 23. Februar 2002 in der ARD, bei einem Auftritt in der „Guinness Show der Rekorde“. Mein deutscher Herausforderer und ich mussten einen Treppenparcours beschreiten und uns die Reihenfolge der Stufen merken (geradeaus, nach oben, unten, links oder rechts) und anschließend wiedergeben. Moderator Reinhold Beckmann legte es als Geschlechterkampf an: Wer ist besser, Mann oder Frau? Deutschland oder Österreich? Das Ergebnis kann gerne auf YouTube nachgesehen werden.

Gönnst du dir Ruhepausen im Alltag?

Ich mache (fast) jeden Morgen eine Mini-Meditation. Es tut mir so gut, meinem Publikum in meinen Vorträgen vor Augen zu führen, wie wichtig es ist, das Gehirn auch immer wieder zu leeren. Es tut gut, anderen zu lehren, was ich selbst auch noch lernen muss!

Hier am Schiff liebe ich es, immer wieder Plätze aufzusuchen, wo ich einfach nur aufs Meer schaue, minutenlang, ohne etwas zu denken. Dieses wunderbar leichte Gefühl, das sich dann einstellt, möchte ich in meinen Alltag an Land mitnehmen. 

© Luise M. Sommer

Gibt es Bereiche, in denen du dir Dinge nicht gut merken kannst?

Definitiv! Mein räumliches Gedächtnis ist unterentwickelt. Mich – auch mit Google Maps in einer unbekannten Stadt zurechtzufinden, ist eine echte Herausforderung. Und wenn ich mir beim Verlassen einer Tiefgarage nicht mindestens zwei Eselsbrücken bastle wo mein Auto steht, bin ich verloren.

 

Hast du eine Lieblings Lern- oder Trainings Methode?

Ja, das ist die Loci-Methode, mit der ich vor mittlerweile 28 Jahren Blut geleckt habe und ohne die es auch meinen Guinness-Weltrekord nicht gäbe. Zur Erklärung der Methode: Ich mache es den Rednern der Antike nach, platziere Gedächtnis-Inhalte an bestimmten Orten (= Loci) in einem Raum oder auf einem Spaziergang.

 

Gibt es ein Ritual, das du in Bezug auf Gedächtnistraining oder das Merken von Dingen praktizierst?

Ich „hypnotisiere“ meinen Schlüssel, wenn ich ihn schnell irgendwo ablege. Drei Sekunden – bewusst hingeschaut –sparen viel Zeit später beim Suchen!

Was motiviert dich im Leben?

„Life is People“ – Leben ist Begegnung. Ich finde es bereichernd, neue Menschen und somit neue Sichtweisen und Perspektiven kennenzulernen. Es ist auch beglückend für mich, wenn ich anderen etwas für ihr Leben mitgeben kann. 

In meinen „Luises 5 Lebens-Ls“ findest du alles zusammengefasst:

LERNEN – LACHEN – LAUFEN – LIEBEN – LOSLASSEN (auf meinem YouTube-Kanal gibt’s zu jedem ein kurzes Video dazu).

Worauf sollte man achten, wenn man mit einem Gedächtnistraining anfangen möchte?

Es sollte mich "kribblig-vorfreudig" motivieren – und absolut kein Muss sein.

Am besten den Alltag und alles, was ich mir dort merken muss oder will, als „Trainingswiese“ betrachten. Dann ist die Zeit, die ich dafür investiere kein Opfer – im Gegenteil. Sie bringt mir sofort etwas für mein Selbstbewusstsein. Ich habe mir z.B. das Motto gewählt „A name a day keeps Alzheimer’s away“ – und versuche das, so oft es geht, auch zu leben. Wobei der „Name“ auch ersetzt werden kann durch eine Zahl (Handynummer?) oder einem Begriff aus dem Allgemeinwissen.

Was verbirgt sich hinter der BMV Formel?

Das ist meine Formel für erfolgreiches Namenmerken.

B: Ich mache mir ein BILD zum Namen der Person.

M: Ich suche mir ein MERKMAL an diesem Menschen.

V: Ich VERKNÜPFE beides miteinander.

Das Wichtigste: Ich WILL mir diesen Namen auch wirklich merken!

Zum Beispiel bei meinen Impulsvorträgen. Wenn hier die Möglichkeit für ein wenig Smalltalk mit den Teilnehmer*innen im Vorfeld besteht, begrüße ich sie dann zu Beginn meines Vortrags mit ihren Namen. Funktioniert mit dieser Formel bestens!

Es gibt unzählige Ratgeber und Methoden, um das Gedächtnis besser zu trainieren. Kannst du drei Methoden nennen, die für dich am effektivsten sind?

Letztendlich laufen alle diese Methoden auf das kreative Denken in möglichst lebhaften, humorvollen Bildern hinaus.

Am liebsten verwende ich: 

 

·    die schon erwähnte Loci-Methode.

 

·    die Geschichten-Methodeich bastle mir eine merk-WÜRDIGE Merk-Geschichte für Überblickswissen jeder Art.

 

·      die Anfangsbuchstaben-Methodeaus den Anfangsbuch- staben des zu merkenden Stoffes ergibt sich ein erinnerungswürdiger Merksatz.

 

Viele Beispiele findet man dazu in meinem aktuellen Buch: „Dein Gedächtnis kann mehr! Kreative Merktipps für den digitalen Alltag“.

Foto von Buchcover "Dein Gedächtnis kann mehr"
Buchcover "Dein Gedächtnis kann mehr" © Luise M. Sommer

Welche Lernmethoden können an Alzheimer erkrankten Menschen helfen?

Ich denke, gerade hier trifft der Satz von Gerald Hüther ganz besonders zu: „Begeisterung ist Dünger für unser Gehirn.“ Alles, was diesen Menschen Freude bereitet und Erfolgserlebnisse gibt, gilt es zu entdecken. Das heißt, sie dort abzuholen, wo sie sich befinden. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, so verschieden, wie Menschen eben sind.

Ich bin hier nicht Expertin genug, um konkrete Maßnahmen vorzuschlagen. Das hieße meine Kompetenzen zu überschreiten. Worauf ich aber sehr wohl hinweisen möchte: Wir können uns in jeder Phase unseres Lebens dafür entscheiden, mit dieser Begeisterung in neue Wissensgebiete  einzutauchen, wir können neugierig und vor allem lernbereit bleiben. Damit können wir diese Krankheit zwar nicht verhindern, sollte sie in unseren Genen angelegt sein. Aber Studien beweisen: Wir können sie zumindest hinausschieben. 

Wenn du einen Wunsch frei hättest, welcher wäre das?

Das wäre definitiv kein Wunsch materieller Art. Denn diese Wünsche kann ich mir entweder erfüllen oder mich davon unabhängig machen.

Mein wichtigster Wunsch ans Universum: Dass ich von den sportlichen Sechzigern, in denen ich mich gerade befinde, bei bester Gesundheit, meine strahlenden Siebziger, aktiven Achtziger und neugierigen Neunziger erleben darf. Ob die himmlischen Hundert dann hier oder schon woanders sind – das werden wir dann sehen.