Interview mit den Künstlern Jakob Bardou und Holger Weißflog von innerfields

Als Künstlerduo innerfields sind Jakob und Holger seit über 20 Jahren aktiv. Mit ihren überdimensionalen Wandbildern im öffentlichen Raum, auch Murals genannt, machen sie auf sozialkritische Themen aufmerksam. Im Zoom-Interview haben sie mir von ihren Anfängen in der Graffiti-Szene, Kunst als Stolperstein und ihren Lieblingsaufträgen erzählt.

zwei Männer sitzen auf einem Gerüst vor einer bemalten Wand
Innerfields Künstler © Jakob Bardou, Holger Weißflog

Lieber Holger und Jakob, schön euch zu sehen. Mit welchem Auftrag seid ihr ins Jahr gestartet?

Im Moment planen wir das gesamte Jahr durch und haben sieben verschiedene Entwurfsreihen für Projekte in Arbeit. Wir kriegen normalerweise vom Jahresbeginn bis Mitte Februar unsere Aufträge rein. Danach kommen immer mal kleinere.

Woher kommt der Name innerfields?

Jakob: Dazu gibt es eine ziemlich grandiose Geschichte: Es gab schon einen Namen, IWS, der war uns aber zu industriell und hatte nichts mit unserer Leidenschaft zu tun. Meine Mutter kannte einen Mann, der beruflich Firmennamen kreiert und ihr noch einen Gefallen schuldete. Er arbeitet hauptsächlich in den Niederlanden und hat sich erst mal angehört wer wir sind, was wir machen und womit der Name zu tun haben sollte. Ich meinte zu ihm, ein international klingendes Kunstwort wäre schön. Zwei Tage später hat er uns drei Namen aufgeschrieben, wovon wir uns einen aussuchen konnten. Wir haben uns für innerfields entschieden.

Holger: Und wir sind immer noch sehr glücklich mit dem Namen, weil er ein starkes Alleinstellungsmerkmal hat. Wenn man ihn im Internet eingibt, erscheinen nur wir. Die Sinnhaftigkeit des Namens hat sich tatsächlich auch ein bisschen transformiert. Anfang 2008 kamen die ersten großen Aufträge und wir fingen an, in Häusern zu malen, in Innenräumen, in Wohnzimmern, in Geschäften, Foyers etc. Unsere allererste Geschäftsidee und Marktlücke war, unaufdringliche Malerei im Innenraum zu machen.

© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Wir haben in Anführungsstrichen sehr diskret gearbeitet und helle Farben benutzt, die mit den Räumen harmonierten. Daher fanden wir diesen Namen so toll, weil es diese inneren Felder in den Häusern widerspiegelte. Mittlerweile machen wir mehr freie Kunst und versuchen uns von solchen Aufträgen zu distanzieren, aber durch Corona ist es wieder etwas mehr geworden, da Kunst ja gerade kaum stattfindet. Ende Februar wären wir auf der Art Karlsruhe gewesen, die ist aber schon wieder ausgefallen. Ausstellungen werden abgesagt und der ganze Kunstbetrieb ist eigentlich komplett eingeschlafen. Deswegen sind wir jetzt wieder ein bisschen anders aufgestellt, aber auch für diese Kunstwelt funktioniert der Name sehr gut. 

Wie seid ihr zur Kunst gekommen?

Jakob: Ich habe mich schon immer in die Malerei geflüchtet und da meine Ruhe gefunden. Es ist ein bisschen wie mit dem Angeln. Seit ich klein bin, angle und male ich. Ich bin sehr hyperaktiv und diese beiden Sachen beruhigen mich. Meine Mutter ist in der Designbranche unterwegs und mein Vater hat Skulpturen gemacht. Sie haben mich immer in diese Richtung gepuscht. Nachdem ich eine Lehre als Uhrmacher gemacht habe, fragte ich mich irgendwann, wofür mache ich das alles? Mit siebzehn habe ich Bilder für Tätowierer gemalt und sie für einen Euro oder so etwas verkauft (lacht). Ab dem Zeitpunkt habe ich immer für irgendjemanden gemalt und dann beschlossen, selbstständig zu arbeiten und zum Glück kam Holger dazu. Ich hatte auch noch einen Airbrush-Laden mit einem Partner zusammen. Das beschreibt so in etwa den mühsamen Weg dahin.

Holger: Bei mir war es auch mehr oder weniger autodidaktisch. Als Schulkind war ich fasziniert von Graffiti und habe darüber auch Jakob kennengelernt. Wir waren mit 13 anderen Kollegen eine Graffiti-Crew in Berlin, die schon sehr früh, Ende der 90er, nicht mehr auf Straßen gemalt hat, sondern an geduldeten und legalen Flächen sehr aufwendige Bilder produziert hat. 1999 fingen wir beide an, die ersten größeren Aufträge zu malen. Das Malen war Mittelpunkt unseres Lebens und wir haben damit auch immer mal wieder ein bisschen Geld verdient. In der Zeit habe ich Textil- und Flächendesign studiert und mich dann aber für so eine Schnapsidee entschieden, wie viele es genannt haben. Wir wurden lange dafür belächelt, dass wir einfach nur Malen wollen. Das zog sich bis zum Ende des Studiums durch. Irgendwann gab es ein Break-Even, wo wir auf einmal ein, zwei gut dotierte Aufträge bekamen. Ein großer Auftrag kam von einem Ex-Justizminister aus Italien, der auch bei Berlusconis TV-Sender moderiert hat. Wir haben ihm einen Preis vorgeschlagen für ein Bild, auf dem er alles wollte – Natur, Tiere, Frauen und Graffiti und wir dachten, das ist schon ganz schön krass – wie können wir das gewährleisten, ihm so etwas zu malen und die Kohle abzugreifen? Daraufhin haben wir ein Konzept entwickelt, womit wir alles bedienen konnten.  

gemaltes Bild auf einer Wand in einer Wohnung
© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Ich weiß noch genau, wie wir in der Abenddämmerung auf der Brücke am Kanal an der Friedrichstraße standen und dieses Konzept ausgesponnen haben und dann mit unserer Graffiti-Crew eine Sammlung einberiefen und sagten – wir haben eine Idee, wer hat Bock mitzumachen? Die anderen fanden die Idee zu unsicher. Wir aber hatten eine Vision. Einer hat sich dann gemeldet, weil er nicht so genau wusste, was er machen sollte, daraufhin haben wir innerfields gegründet. Er hat sich vor zwei Jahren verabschiedet und sein Leben neu ausgerichtet. Aber Jakob und ich, wir sind immer noch auf dem gleichen Level wie damals auf der Brücke an der Friedrichstraße. 

Jakob: Wir fanden heraus, dass es total geil ist, über Themen im öffentlichen Raum zu malen, die eine Aussage haben. Unsere Arbeiten waren ja schon legal und an den öffentlichen Wänden, wie an der East Side Gallery, geduldet. Das erste große Thema bei uns war Werbung, weil wir Werbung so dreist fanden, wie damals der Spruch Geiz ist geil – über den haben wir uns so richtig ausgelassen. Dann bekamen wir plötzlich Aufmerksamkeit, nach dem Motto – krass, da sind welche, die machen Graffiti nicht nur so: Schriftzug/Charakter, sondern die machen sich über ein bestimmtes Thema Gedanken. 

© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Habt ihr in dieser Hinsicht künstlerische Vorbilder?

Jakob: Da müssen wir einen ganz Bestimmten immer als Erstes nennen, weil wir einen Effekt von uns nach ihm benannt haben. Das ist Banksy. Der Banksy-Effekt drängt sich innerhalb von Sekunden in das Gehirn des Betrachters. Seine direkte Art und Sprache ist der Zaubereffekt.

 

Holger: Ganz große Vorbilder sind zum Beispiel aus Polen, die Etam Cru. Aus Deutschland Case Maclaim und Herakut. Wes21 aus der Schweiz und Aryz aus Spanien.

Jakob: Mucha aus Tschechien.

 

Holger: Ich wurde eine Zeitlang vom Bauhaus und Jugendstil inspiriert. Die Graffiti-Szene ist ja eine sehr eingeschworene. Sie zu dechiffrieren und zu erkennen – es war derjenige, mit der Crew, das können nur die aus der Szene. Es ist sozusagen ein Kommunikationscode, der von sehr wenigen gelesen werden kann. Wir haben irgendwann keine Schrift mehr auf Flächen gekritzelt, sondern angefangen Figuren zu „schreiben“, die aus Linien bestehen und dadurch die Brücke geschlagen, dass sie eben nicht nur von Graffiti-Leuten, sondern von jedem erkannt werden können. So haben wir gemerkt, es ist cool, Murals zu entwickeln, die für alle lesbar sind. Das ist unser Auftrag. Durch die Fähigkeit der malerischen Übersetzung und der Konzeptentwicklung drücken wir Dinge aus, die gesellschaftlich relevant sind.

© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Für den französischen Fotograf und Streetart Künstler JR, bekannt für seine großflächigen Bilder und Portraits an Hochhäusern, ist „die Straße die größte Galerie der Welt“. Seht ihr das auch so?

Jakob: Ja, das würden wir auch so beschreiben, dass die Straße eine Galerie ist, wo jeder hinkommen kann, ohne Vorbildung oder Geld.

 

Holger: Unsere Kunst ist wie ein Stolperstein und das Schönste wäre, durch sie die Routine der Passanten oder Rezipienten zu unterbrechen. Spannend ist, dass in den öffentlichen Räumen jede Wand einen anderen sozialen Kontext hat. Eine Leinwand hat immer einen Stoff als Hintergrund und kann mit allem bespielt werden. Wenn man aber in Israel oder in Kiew ein Bild malt, dann herrschen ganz spezielle Bedingungen und es ist ein großer Unterschied, ob man in einer Villa oder in einem Vorort malt. Da spielen die äußerlichen Einflüsse eine Rolle. So gehen wir auch bei dem Kunden vor – wo steht das Gebäude, was kann auf der Fläche passieren? Hat sie Fenster oder nicht, hat sie einen Knick? Welche äußerlichen Bedingungen gibt es, die das Bild ein Stück weit vorgeben? Letztes Jahr haben wir in Hamburg ein sehr großes Hochhaus bemalt, das waren 500 qm. 

Urban Art Projekt, Osdorfer Born, Hamburg  © Tonia Christie

So bin ich auf euch aufmerksam geworden! Ich habe über eure Aktion in der Zeitung gelesen und dachte: Beindruckendes Kunstwerk, die Künstler muss ich kennenlernen.

Holger: Das Projekt lief über die SAGA (Wohnungsbaugesellschaft), die haben gute Pressearbeit gemacht. Es gab eine Ausschreibung für einen Urban Art Wettbewerb und fünf Künstler*innen aus Deutschland wurden eingeladen. Uns war wichtig – was ist der Osdorfer Born, wo das Hochhaus steht, für ein Bezirk, was sind die Herausforderungen und wie können wir eine Message entwickeln, die zu dem Ort passt? Im Endeffekt scheinen wir das so gut getroffen zu haben, dass wir unseren Vorschlag umsetzen durften. 

Jakob: Das Bild ist 42 Meter hoch und so riesig, dass es gar nicht mehr auffällt, wenn man an dem Hochhaus vorbeiläuft. Man sieht im Vorbeigehen nur eine farbige Wand. 

Mann läuft an Wandgemälde an Hochhaus vorbei
Mural im Osdorfer Born, Hamburg © Tonia Christie

Gab es für euch einen Lieblingsauftrag, etwas Spannendes, auch außerhalb von Deutschland. Wie das Projekt in Israel zum Beispiel?

Jakob: Das war ein Auftrag im Rahmen eines Festivals in Chadera, einem Ort an der Küste, nördlich von Tel Aviv. Solche Festivalaufträge finden wir immer spannend, da es meistens um inhaltliche Arbeit geht. Das ist dann nicht im Rahmen einer Gebäudeverschönerung, sondern es werden Künstler*innen eingeladen, um ein Viertel oder einen Bereich in der Stadt zu gestalten und dadurch aufzuwerten. Man setzt sich künstlerisch mit dem Ort auseinander. Ob es in Georgien ist oder in Israel, wo die religiöse Thematik und die politische Spannung, die dort herrschte, im Vordergrund stand.

© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Lieblingsaufträge sind auch die, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Wenn wir komplett frei sind und für eine Arbeit Geld bekommen, ist das für uns ein absoluter Segen. Ein Projekt nimmt ca. einen Monat in Anspruch, von der Idee bis zur Umsetzung des Konzepts. Wenn wir davon leben können, sind wir total happy. Es gibt aber auch Aufträge, die dauern ein halbes Jahr. Vor Kurzem haben wir etwas Freies in Leipzig gemacht, das ich sehr schön finde.

gemaltes Bild auf einer Hochhauswand in einer Wohnstraße
Access to exit Leipzig © Jakob Bardou, Holger Weißflog

Dann gibt es noch die Bilder von uns, die sehr berühmt geworden sind, wie der Fischermann in Hamburg von 2012. Ich weiß gar nicht so genau warum das eine meiner Lieblingsarbeiten ist, aber ich spüre eine Connection zu diesem Werk. Es ist irgendwie stimmig. Der ging um die Welt, eine Zeitung aus Australien hat ihn auf die erste Seite gebracht. Oder er ist auf irgendwelchen Chia-Pudding-Gläsern zu sehen. 

© Kai Branss

Holger: Es fällt mir schwer zu sagen, welcher mein Lieblingsauftrag ist. Wir haben viele Werke in Georgien gemalt und eine wahnsinnig große Liebe zu diesem Land entwickelt, tolle Freunde kennengelernt und mit die besten Zeiten unseres Leben dort verbracht. Aber die Arbeit des Fischers war ein Meilenstein. Es gibt immer wieder Arbeiten, die uns auf ein neues Level bringen, wo wir uns weiterentwickeln mit neuen Techniken und einer neuen thematischen Herangehensweise. Eine Sache, die irgendwann dazugekommen ist, sind so kleine Mikrogeschichten. Kleine Figuren, die neben einer großen Figur stehen und irgendetwas machen. So etwas zieht sich dann durch unsere (späteren) Arbeiten und sind auch Meilensteine.

Es ist irgendwie alles voller Steine bei uns. Meilensteine, Stolpersteine … (lacht)

Der Fischer war einer der Startschüsse für unsere großen Fassadenbilder weltweit, mit eigenem Konzept. Man wird ja nur auf ein Festival eingeladen, wenn man schon mal eine Fassade gemalt hat. Eine Agentur in Hamburg hat damals den Auftrag für den Fischer organisiert. Die wollten eigentlich, dass wir ein Tattoo-Schiff auf die Wand malen, so ein Seefahrermotiv, das ein paar Tausend Euro kosten sollte. Die Agentur war cool und hip, alle hatten Bärte und waren tätowiert … wir haben zu denen gesagt, dass wir die Idee des Seefahrermotivs nicht so toll finden, aber wenn sie uns unser Motiv malen lassen, dann machen wir es umsonst. Sie müssten nur die Materialien stellen, Geld ist nicht so wichtig. Daraufhin haben die gesagt, dann macht euer Ding und ich glaube, das, was wir dann gemalt haben, war selbst für diese Werbeagentur einer ihrer größten Virals. Also eins der Objekte, das weltweit Aufmerksamkeit bekam. Und für uns war es eine Genugtuung.

gemaltes Bild auf einer Hochhauswand in einer Wohnstraße
FischersNetz „We all are fish in the net“ © Foto Kai Branss
© Foto Kai Branss
© Foto Kai Branss

Worum geht es bei den Festivals genau?

Holger: Meistens ist es eine Initiative von Leuten, die ein Festival organisieren wollen. Sie treten mit der Stadtverwaltung in Kontakt und bekommen für ihr Projekt Subventionen für Material, Anreise und Unterkunft. Die Städte stellen für die Künstler kommunale Gebäude oder Flächen zur Verfügung. Oft arbeiten die Kommunen oder Städte mit den Bürgermeistern zusammen, in Israel war das zum Beispiel so. In Kiew war es auch so, da hatten wir auch latent mit Vitali Klitschko zu tun, der Bürgermeister von Kiew. Es werden zum Beispiel nur Künstler eingeladen, die Fassaden malen, das ist ja auch eine neue touristische Attraktion für eine Stadt, wenn auf einmal pro Jahr zehn solcher künstlerischen Wände entstehen und die unattraktiven Stellen der Stadt verändert werden. Solche Festivals gibt es überall auf der Welt.

© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Habt ihr eine Arbeitsaufteilung?

Holger: Nö, eigentlich nicht. Wir haben in den letzten zehn Jahren stark daran gearbeitet, eine gleichberechtigte Struktur zu etablieren, in der wir beide alles machen dürfen. Das hat uns zusammenwachsen lassen. Inzwischen können wir uns mehr oder weniger blind vertrauen und sind auch nachsichtig, wenn irgendetwas passiert.  

 

Jakob: Es gibt aber schon eine Struktur, die abhängig davon ist, in welcher Zeit wir was fertig machen müssen. Da hat jeder von uns seine Fähigkeiten, wie er am schnellsten arbeiten kann. Ich kann megaschnell Hautfarbe, Holger kann megaschnell Pflanzen und Background oder Textilien umsetzen. Dann lasse ich ihm den Vortritt. Wir teilen uns das so ein, wie wir beide es am besten einschätzen können.

 

Holger: Wir kennen uns eben schon sehr gut, auch in Extremsituationen, wo wir über Wochen 14 Stunden am Tag schwere körperliche Arbeit ausüben, wo wir total erschöpft sind, teilweise in Krankheiten reinarbeiten und trotzdem weitermachen, um es irgendwie durchzuziehen. In den Zuständen haben wir viel über uns gelernt. Bei dem Projekt in Hamburg hatten wir auch so eine Situation, bei der die Arbeit uns an unsere Grenzen gebracht hat und wir teilweise mit Schmerzmittel weitergearbeitet haben. Das Bild an dem Hochhaus haben wir in 16 Tagen gemalt. Wenn man die ganze Zeit malt, spürt man irgendwann die Schulter, den Rücken. Bei mir haben die Zähne angefangen auszustrahlen und Jakob hatte einen Sehverlust durch Migräne.

Jakob: Ich konnte morgens nach dem Aufstehen nichts mehr richtig anvisieren oder scharf sehen und habe mich wieder hingelegt und zwei Stunden gewartet. Dann bin ich wieder auf der Arbeit erschienen (lacht).

© Jakob Bardou, Holger Weißflog

Mit welchen Materialien arbeitet ihr? Ihr habt das Sprayen und die Pinsel erwähnt.

Jakob: Bei dem Hamburg Projekt durften wir nicht sprühen. Wir benutzen jetzt vor allem Fassadenfarben. Vor vier Jahren waren es noch hauptsächlich Sprühdosen. Dazu muss ich eine Geschichte erzählen: Wir haben mit Sprühdosen angefangen, aber die Gase waren ungesund und das Hoch- und Runtergeschleppe der Dosen zu anstrengend, also haben wir entschieden, die Flächen mit Pinsel zu füllen und danach erst aufzusprühen. Die Farbe wurde mit viel Wasser verdünnt, um der Fläche einen wässrigen Schein zu geben. So ergab sich nach dem Aufsprühen ein schöner Duktus. Normalerweise muss man viel Farbe auf eine Wand knallen, damit sie einen schönen Duktus erhält. So haben wir unseren Stil immer mehr dahin entwickelt. Die Sprühdose ist mittlerweile nur noch eine Effekthascherei, die echt goldwert ist, weil man mit dem Pinsel nicht so schnell arbeiten kann. 

Holger: Wobei wir eigentlich mit allem malen, was wir in die Hände kriegen. Wenn wir im Ausland malen, gibt es manchmal die wildesten Produkte.

 

Jakob: Ja genau, in Georgien zum Beispiel. Das war eine ziemlich interessante Geschichte. Wir sagten zu den Veranstaltern, dass wir ein paar Sprühdosen brauchen. In einem Farbladen haben wir uns dann die Grundtöne in Streichfarbe besorgt, weil die Sprühdosen mega teuer waren. Als wir alle Ausgaben zusammenrechneten, haben wir für das riesige Mural fünf Kartuschen Abtönfarbe und sechs Sprühdosen gebraucht. Vorher waren es meistens Hunderte von Sprühdosen und zwei Eimer Streichfarbe, um irgendetwas zu grundieren. Seitdem machen wir es immer so, weil es einen Stil ergeben hat, eine Durchsichtigkeit, bei der man jeden Strich sieht und es unserer Arbeit mehr Wertigkeit gibt. 

Hochhaus Malerei in Georgien
"locked down" in Georgien © Jakob Bardou, Holger Weißflog

Welche Pläne habt ihr noch für die Zukunft?

Jakob: Die allerbeste Frage kommt zum Schluss. Wir haben immer noch nicht den Fernsehturm in Berlin bemalt, den wollten wir schon immer machen. Und den Mond.

 

Den Mond! Wie schön.

Jakob: Ja, wir sind völlig übertrieben drauf mit unseren Wünschen (lacht). Aber eigentlich will ich nur wieder unbeschwert Reisen. Diese Freiheit wiederzuerlangen, sich einfach so treffen zu können, das wäre mein Zukunftsplan. Die letzte Reise 2019 zu dem Festival nach Georgien war nicht gerade angenehm. Die Leute kamen aus den verschiedensten Ecken der Welt und die Künstler aus dem ehemaligen Jugoslawien und Griechenland mussten einfach nochmal in Quarantäne. Das war verletzend für einige, da wir als Deutsche ohne Probleme einreisen konnten.

 

Holger: Wir hatten einen Greenpass für Georgien und mussten uns nur einmal in Deutschland testen. Die anderen mussten sich alle 42 Std. nachtesten, weil sie aus einem anderen Land kamen. 

Jakob: Meine Zukunftspläne mit Holger haben noch mehr Klarheit bekommen. Wir sind oft so drauf, dass wir alles annehmen, was an Aufträgen reinkommt, sie sofort bearbeiten wollen und uns dann völlig verausgaben, und da hält uns die Familie dann den Spiegel vor: Könnt ihr auch noch Zeit mit uns verbringen und nicht den ganzen Tag arbeiten und abends dann weiter am Rechner? Dann realisiert man erst, dass man eine Auszeit braucht.

 

Holger: Wir haben aber auch dazugelernt. Im ersten Lockdown haben wir uns die ersten 5 Monate komplett rausgenommen und dann auf eine 3-Tage-Woche reduziert. Wo ich uns in ein paar Jahren sehe, ist, dass wir uns in dem Markt Kunstsegment noch stärker festigen. Es ist ja nicht so, dass wir nicht präsent sind, wir wären wie gesagt auf der Art Karlsruhe gewesen und auf der Affordable Art Fair in Hamburg und Anfang April nehmen wir in der Barlach-Halle in Hamburg an einer Ausstellung teil.

 

Jakob: Sag es doch einfach gerade raus – wir wollen in den Sekundärmarkt.

 

Holger: Genau, wir wollen in den Sekundärmarkt der Kunst, weil sich dann unsere Bildpreise von 6000 locker auf 25000 steigern können und es auch dann erst möglich wird, davon zu leben. 6000 Euro hört sich nach viel Geld an, aber nach Abzug von Galerie und Steuern bleiben für uns vielleicht 2000 übrig. Dafür arbeiten wir aber ungefähr einen Monat und es ist noch nicht einmal sicher, ob wir das Bild verkauft kriegen. Wir sind zwar ganz junge Hüpferl, aber diese Fassadenarbeiten sind körperlich sehr anstrengend und ich habe keine Lust, das in 15 Jahren noch machen zu müssen. Wir werden es natürlich machen, weil es unsere Leidenschaft ist. Und wir müssen bis zu ca. zehn Arbeiten im Jahr machen, damit wir über die Runden kommen. Das ist körperlich sehr anstrengend.

 

Wenn ihr mehr Geld verdient, könntet ihr jemanden beauftragen, der die Arbeit für euch macht.

Holger: Bei dem Hamburg Projekt war es für uns eher ungewöhnlich, dass die riesige Fläche vollständig bemalt wurde und es so gut wie keine Freiflächen gab. Wir haben gut überlegt, für welche Stellen wir Zuarbeiter mit aufs Gerüst nehmen könnten, hatten aber im Endeffekt nur in der Vorbereitungsphase jemanden. Wir haben es allein viel schneller hingekriegt, da wir einen bestimmten Stil verfolgen und uns immer wieder abstimmen, was die Details angeht. Da ist es dann eher schwierig, jemanden extern zu beauftragen.

 

Jakob: Wenn wir zu zweit arbeiten, gibt es so einen schönen Drive, sodass wir eine Wand eben in 16 Tagen bemalen können. Genau deswegen ist unser Stil so wie er ist. Wir sind sehr schnell und haben eine eigene Technik entwickelt. Wenn wir mit anderen Künstlern darüber reden, fragen sie immer: Was, mit Pinsel und mit Dose? Warum nicht alles mit Pinsel oder alles mit der Dose? Wir haben eben eine eigene Art und die wollen wir pflegen.