Interview mit Tamar Valkenier, Abenteurerin, Autorin

Es ist früh am Morgen an einem regnerischen Tag im August. Ich habe mich mit der holländischen Abenteurerin Tamar Valkenier zu einem Videointerview verabredet. Sie hat die Nacht in ihrem Zelt am Rheinufer in der Nähe von Köln verbracht.

 

Hi Tamar, wie geht es dir?

Gut, ich genieße noch mein Frühstück.

 

Was hast du in den letzten Tagen erlebt?

Ich habe eine Wanderung mit meinem Kamel Einstein entlang des Rheins gemacht und bin sehr stolz auf ihn, da er sich wirklich gut geschlagen hat. Aber nach ein paar Tagen begann es ununterbrochen zu regnen und Regen ist nicht so gut für ein Kamel. Wir wurden beide ein bisschen krank und bei mir wurde ein Leistenbruch diagnostiziert, der operiert werden muss. Sehr unglückliches Timing. Und so habe ich entschieden, Einstein wieder nach Hause zu bringen, das war wirklich traurig. Aber jetzt fahre ich mit meinem Fahrrad weiter, das ist auch sehr schön.

 

Ich habe dein Buch "Tamar Valkenier – Die Vollzeit Abenteurerin" gelesen. Deine Geschichte hat mich sehr berührt. Vor allem deine Begegnungen mit den vielen unterschiedlichen Menschen. 

Menschen kennenzulernen ist der wichtigste Grund des Reisens. Ich wollte, dass dieses Buch eine Ode an all die Menschen ist, die ich auf meinen Reisen getroffen habe.

 

Wie bist du auf die Idee gekommen, mit deinem Kamel Einstein am Rhein entlangzuwandern?

Mein Buch kam während der Pandemie in Holland heraus. Und weil alles geschlossen war, konnte ich keine Präsentation oder Lesung machen. In dieser Zeit war ich in Lappland, Skifahren und Schlittschuhlaufen und dachte darüber nach, wie ich das Buch an die Öffentlichkeit bringen könnte. Eine Idee war, mich einfach auf mein Fahrrad zu setzen und es persönlich überall vorbeizubringen. Dann habe ich mit meinen Freunden in Lappland überlegt, ob es nichts Ausgefalleneres geben könnte und gescherzt - wie wäre es mit ein Kamel? Auf dem Buchcover bin ich mit meinem Kamel in der Mongolei zu sehen. 

Warum ausgerechnet ein Kamel?

Ich liebe Kamele. Als ich vor zweieinhalb Jahren Kamel zum Verkauf in Holland googelte, gab es nur drei Angebote auf dem Markt. Also rief ich einen der Typen an, der die Kamele angeboten hatte und kaufte spontan eins am Telefon. Und dachte – oh scheiße. (lacht) Der Mann hat die Tiere nicht gut behandelt und Einstein war ziemlich einsam. Ich habe dann einen guten Platz für ihn an einem schönen Ort gefunden, wo Tiergeschützte Therapien angeboten werden und er zum Beispiel in Altenheime und Kindergärten gebracht wird. Er lebt jetzt mit anderen Kamelen, Pferden, Ziegen und Alpakas zusammen. Nachdem ich ihn gekauft hatte, ließ ich es langsam  angehen, habe viel mit ihm trainiert und bin 700 km mit ihm durch Holland gelaufen. Und weil die Tour ein unerwartet großer Erfolg war, habe ich mir vorgenommen, dieses Jahr wieder mit ihm auf Tour zu gehen, diesmal am Rhein entlang. Er ist jetzt älter und ich war mir nicht sicher, ob er bereit war für so einen Trip. Aber wenn man sich auf ein Abenteuer einlässt, kann man sich immer auf dem Weg anpassen. Und im Nachhinein war es wirklich schön mit Einstein abzuhängen.

© Tamar Valkenier

Was war dein Ziel?

Das Ziel war, mit vielen inspirierenden Menschen in Kontakt zu kommen auf unserer Wanderung entlang des Rheins. Wenn man mit einem Kamel unterwegs ist, öffnen sich viele Türen und ich bekam hunderte von Einladungen von vielen großartigen Menschen. Manche sind Künstler, manche arbeiten und leben mit der Permakultur in Gemeinschaften, andere haben Therapieplätze für Tiere oder helfen, den Rhein sauber zu halten.

 

Wo war Einstein, wenn du dein Zelt für die Nacht aufgeschlagen hast?

Wenn ich ihn tagsüber geführt habe, trug er einen Halfter. Und abends rannte er ohne Halfter auf einer Koppel herum und konnte fressen. Mein Zelt befand sich auf der anderen Seite des Zauns, neben der Koppel. 

Du reist gerne mit Tieren, was gefällt dir daran?

Ich liebe es einfach, mit Tieren zu reisen. Die Reise dreht sich nicht mehr um einen selbst, sondern um das Tier, um das man sich kümmert. Dein Ego verschwindet. Als ich die Mongolei zum ersten Mal besuchte, wusste ich nichts über Tiere. Meine Freundin Lynnea, mit der ich dort unterwegs war, führte mich an die Tiere heran. Wir kauften zwei Pferde, zwei Kamele und hatten zwei Hunde dabei, mit denen wir 1700 km Kilometer durch das Altai-Gebirge zurücklegten. Zum ersten Mal fühlte ich mich wie eine Mutter, die sich um ihre Kinder kümmerte. Ich konnte ihre Seele und ihre Persönlichkeit spüren. Dadurch entstand eine besondere Beziehung. Nicht ich führte die Tiere, sondern sie führten mich. Für die Nomaden in der Mongolei ist es normal, mit Pferden und Kamelen zu reisen. Als ich sie besuchte, oder mit meinem Esel durch Jordanien reiste, sagten die Menschen: "Du bist eine von uns". Tiere verbinden einen noch mehr mit dem Land und den Menschen, dadurch interessiert man sich mehr für ihren Lebensstil.

© Tamar Valkenier

Was reizt dich am Wandern und dem Entdecken von neuen Orten?

Ich brauche morgens keinen Wecker. Ich muss nie in einem Auto sitzen und im Stau stehen. Ich sehe die schönsten Orte der Welt und habe Zeit, mit jedem Kontakt aufzunehmen, den ich treffe. Ich liebe diesen Lebensstil und bin sehr glücklich und dankbar, dass er möglich ist.

 

Woher kommt deine Leidenschaft oder deine Motivation?

Ich war schon immer ein superneugieriger Mensch. Ich bin hungrig nach neuen Erfahrungen und dem Verständnis der Welt und der Menschen. In meiner Karriere war ich auch sehr von Neugier getrieben. Ich habe zwei Bachelor- und zwei Masterabschlüsse gemacht. Ich habe auch eine Ausbildung als Köchin und lerne immer dazu. Bei allem, was ich tue, ob Klettern, Kiten oder ein Instrument spielen, dreht sich alles immer um das Lernen. Es ist einfach ein innerer Antrieb. 

Du hast in Holland als Polizeipsychologin gearbeitet, aber mit 28 Jahren deinen Job gekündigt, um auf eine Radtour zu gehen, ohne ein bestimmtes Ziel. Wie hat die Berufserfahrung als Polizeipsychologin dir auf deinen Reisen geholfen oder hast du diesen Teil deines Lebens hinter dir gelassen?

Ich habe im Bereich Mord und Sexualdelikte gearbeitet, diese Fälle waren die schlimmsten. Aber ich fand es faszinierend herauszufinden, warum ein Mensch zum Serienmörder wird oder eine Psychose hat. Ich liebe einfach alles, was seltsam ist. (lacht) Wenn man überall nur schlechte Nachrichten hört oder über die bösen Menschen da draußen liest und darüber, wie wir unseren Planeten zerstören, wird die Welt zu einem sehr dunklen Ort. Es ist eine gute Fähigkeit, sich mit Psychologie auszukennen. Aber die Psychologie, die ich in meinem Beruf und an der Universität gelernt habe, ist die europäische Psychologie. Es geht um Menschen in Amerika und Europa und hat nichts mit den Menschen in Afrika oder den mongolischen und indonesischen Stämmen im Dschungel zu tun. Alle Theorien, die ich gelernt habe, können bei ihnen nicht angewendet werden. Diese Erkenntnis erweiterte meinen Geist. Und ich dachte mir: Moment mal, Europa ist eigentlich der Außenseiter und macht nur einen winzigen Teil der ganzen Welt aus. Am Anfang meiner Reisen war ich sehr vorsichtig und angespannt. Aber durch die vielen schönen Erfahrungen, die ich unterwegs gemacht habe, hat sich meine Sichtweise komplett verändert. Mittlerweile sehe ich die Welt als einen erstaunlichen Ort, mit schönen Menschen und unglaublicher Natur. Wenn ich Zeitung lese, fühle ich mich immer irgendwie abgekoppelt. Das ist nicht die Welt, die ich jeden Tag erlebe. 

Seit deiner ersten Fahrradtour erkundest du die Welt. Wie lange bist du schon unterwegs?

Im März 2015 ging es los. Das ist jetzt achteinhalb Jahre her. Ich dachte, ich würde nur ein Jahr weg sein und ein Gap Year machen, wie es viele junge Leute tun. Es war ja nicht so, dass ich in Holland vor etwas weglief, ich fühlte mich wohl und liebte mein Leben, aber dieses andere Leben ist noch viel besser.

 

 

© Tamar Valkenier

Wo fühlst du dich zuhause?

Ich fühle mich in Australien sehr wohl und ich fahre jedes Jahr für mehrere Monate in die Mongolei. Meine erste große Reise führte mich dorthin und jedes Mal, wenn ich wieder zurückkehre, fühlt es sich so an, als würde ich nach Hause kommen. Natürlich hängt es davon ab, mit wem ich zusammen bin und wo ich mich gerade befinde. Ich fühle mich nicht Haarlem zugehörig, woher ich in Holland komme, aber wenn ich mit meinem Vater zusammen bin, fühlt es sich an wie mein Zuhause. Mir wird einfach klar, dass ich keinen Ort brauche, den ich mein Zuhause nennen kann. Das macht mich sehr flexibel.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben? Hast du dir unterwegs Notizen gemacht?

Ich wollte eigentlich nie ein Buch schreiben. (lacht) Aber nachdem ich so vielen Menschen von meinen Erfahrungen erzählt hatte, überzeugten sie mich, meine Geschichten aufzuschreiben. Also schrieb ich eine E-Mail an einen Verleger in Holland und sagte: Ich habe eine Geschichte zu erzählen, bist du interessiert? Einen Monat später hatte ich den Vertrag. Aber ich hatte noch keine einzige Zeile auf dem Papier. (lacht) Und ich musste mir erstmal einen Laptop kaufen, um die Geschichte aufzuschreiben. Ich habe den Laptop überall mit hingenommen - zu den Adlerjägern in der Mongolei, den Massai in Kenia und auch, als ich mithalf, die Waldbrände in Australien zu bekämpfen, aber ich konnte mich einfach nicht auf das Schreiben konzentrieren. Dann brach ich mir in der Mongolei beim Hundeschlittenfahren das Bein. Es war ein komplizierter, dreifacher Bruch und ich musste mehr als drei Monate lang in einem Gips auf der Couch meines Vaters in Haarlem liegen. Zum Glück, denn so konnte ich jeden Tag, von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends meine Geschichte aufschreiben. Das Buch basiert auf fünf Jahren Reisen und ich musste es auf die wichtigsten Erfahrungen reduzieren. Es war auch eine therapeutische Arbeit - was bedeuteten die Reisen für mich? Wie haben sie meine Ansichten und Meinungen verändert?

 

Wie lange hat es vom Schreiben des Buches bis zur Veröffentlichung gedauert?

Etwa 16 Monate.

An welche Grenzen stößt du in der Natur?

Ich glaube, ich bin kein großer Risikosucher. (lacht) Aber wenn man an abgelegene Orte geht, braucht man eine gewisse Risikobereitschaft. Je weiter du dich entfernst, desto vorsichtiger solltest du sein. Es gibt keine Hilfe oder ein Krankenhaus in der Nähe. Inzwischen gehe ich nicht mehr so viele Risiken ein, wie früher in Holland, als ich mit meinem Motorrad Rennen gefahren bin oder Fallschirmspringen und Kitesurfen gemacht habe, weil ich mir des Risikos bewusst bin. Aber jedes Mal, wenn ich etwas tue, das außerhalb meiner eigenen Komfortzone liegt, erweitere ich auch die Risikoakzeptanz. Dann weiß ich, dass ich es schaffen kann und dass, das, was ich mal als das Beängstigende auf der Welt empfand, jetzt normal ist. Wilde Flüsse oder hohe Berge zu überqueren, zum Beispiel.

 

 

Frau in Regenkleidung mit Rucksack vor einem See
© Tamar Valkenier

Was schenkt dir die Natur?

Ich genieße ihre Schönheit und ich habe das Gefühl, einfach ich selbst sein zu können. Auch, wenn ich mit Tieren zusammen bin, ist das so. In der Stadt war ich immer nervös, achtete darauf wie ich aussah, was ich sagte und ob ich genug lächelte. Die Natur muss man einfach so akzeptieren, wie sie ist. Wir können den Wolken oder dem Regen nicht böse sein.

Welche Fähigkeiten brauchst du, um in der Wildnis zu überleben?

Ich bin inzwischen auch Survivallehrerin und bringe den Leuten bei, wie man sich in der Natur orientiert, einen Unterschlupf baut, Feuer macht. Das sind alles praktische Fähigkeiten, aber ich sage immer, die wichtigste Fähigkeit im Leben besteht darin, Freunde zu finden. Wohin man auch geht, man trifft immer auf Menschen, zum Beispiel Nomaden oder Beduinen. Abgelegene Orte zu finden ist schwierig. Und wenn du weißt, wie man Freunde findet, bist du an einem sehr sicheren Ort. Wenn ich in der Mongolei bin, habe ich immer Luftballons in der Tasche, um mit den Kindern zu spielen. Oder ich lade die Leute in mein Camp zu Tee und Keksen ein oder habe eine Gitarre und ein Schachbrett dabei. Wenn du dich mit den Menschen verbindest, werden sie dich als eine von ihnen sehen und dich beschützen. Angstgetriebene Menschen halten sich von den Nomaden fern, weil sie denken, dass ihre Pferde oder die Sattel gestohlen werden können. Das kann schon mal vorkommen, aber wenn du angstgetrieben bist, verursachst du deine eigenen Probleme.

 

Es geht also um Vertrauen?

Ja, aber kein blindes Vertrauen. Es geht darum, eine Beziehung aufzubauen. Sogar ein Serienmörder, der drei Frauen getötet hat, erlebt diese drei schrecklichen Tage in seinem Leben, aber es gab viele andere Tage, an denen er eine ganz normale Verbindung zu Frauen hatte, und ihnen einen Kaffee oder ein Frühstück gemacht hat. Als Polizeipsychologin habe ich mit vielen dieser Leute gesprochen und sie im Gefängnis besucht. Sie sind alle relativ normale Menschen, die einfach nur geliebt werden wollen.  

Fühlst du dich frei, wenn du in der Wildnis bist?

Ja, ich fühle mich sehr frei. Wenn ich dieses Gefühl nicht mehr habe, ändere ich einfach den Plan. Diese Freiheit habe ich für mich geschaffen, weil ich noch keine Familie oder ein Haus habe. Ich gehe einfach dorthin, wohin das Leben mich führt.

 

Womit reist du am liebsten und wie planst du deine Routen?

Ich habe keine bevorzugte Methode. Ich liebe es, mit dem Fahrrad zu reisen, aber wenn ich darauf keine Lust mehr habe, dann überlege ich mir etwas anderes. Wandern, mit Tieren reisen, Schlittschuhlaufen oder Skifahren zum Beispiel. Reisen ist für mich eine persönliche und körperliche Herausforderung. Ich mag auch entschleunigtes Reisen, so kann ich mich besser mit dem Ort, der Natur und den Menschen verbinden.

 

Bist du lieber allein oder in Gesellschaft unterwegs?

Am Anfang meiner Reisen war ich allein und musste erstmal für mich herausfinden, wer ich war und was ich mochte. Diese Zeit habe ich wirklich genossen. Aber ich habe immer öfter gemerkt, dass ich gerne in Begleitung unterwegs bin. Natürlich kommt es darauf an, mit wem. Ich hatte großes Glück, Lynnea aus den USA kennenzulernen und mit ihr durch die Mongolei zu reisen. Das gleiche passierte, als ich in Jordanien auf einer Tour mit meinem Esel unterwegs war. Zufällig traf ich jemanden und fragte ihn, ob er uns begleiten wollte. Aus einer Stunde wurde ein Tag, aus einem Tag eine Woche und aus einer Woche ein Monat. Wir waren ungebunden und frei, jeder konnte jederzeit wieder seine Wege gehen. Jetzt, nach Jahren des Reisens, bin ich in einem Stadium, in dem ich das, was ich gelernt habe, weitergeben kann.

Zwei Frauen mit Rucksack umarmen sich und lachen
Tamar Valkenier mit Freundin auf einem Survivaltrip in Neuseeland © Tamar Valkenier

Was bedeutet das genau?

Ich werde als Reiseleiterin für Reisen in die Mongolei oder nach Jordanien engagiert. Oder ich organisiere Reisen mit Frauen nach Lappland. Das macht mir sehr viel Spaß. Ich halte auch Vorträge über meine Reiseerfahrungen. Vor kurzem habe ich bei den Discovery Days in der Schweiz einen Preis gewonnen für die beste Story.   

Was gibt dir ein sicheres Gefühl auf deinen Reisen?

Man fühlt sich sicher, wenn man weiß, was man tut. Freunde zu haben kann ein Sicherheitsnetz sein, aber es kann auch eine Belastung sein und Probleme verursachen. Und so ist es auch mit den Tieren. Mein Esel half mir, Wasser durch die Wüste zu tragen, aber er rannte auch einmal mit meinem Wasservorrat davon. Es gibt immer zwei Seiten. Sicherheit bedeutet auch, gesund zu sein. Eine Expedition in die Berge von Neuseeland, wo man sein eigenes Essen jagen und den eigenen Spuren folgen muss, ist immer noch eine Herausforderung für mich.

Mittlerweile fühle ich mich aber viel sicherer bei heftigen Stürmen. Oder wenn ich einen Tag lang nichts zu essen finde, dann weiß ich, dass ich tagelang schon auf Essen verzichtet habe oder wenn ich mich verlaufen habe, sage ich mir, kein Problem, morgen werde ich den Weg schon finden. Das Gefühl von Sicherheit kommt, weil man all diese extremen Erfahrungen gemacht hat.

Was hat sich für dich persönlich im Laufe der Jahre verändert? Sind die Ängste, die du als Jugendliche hattest und die du in deinem Buch beschreibst, immer noch vorhanden?

Viele der Ängste sind verschwunden, einige sind noch da, aber sie sind übersichtlich. Ich lebe viel gesünder. Ich esse und schlafe besser, bin körperlich aktiver und dadurch stärker. Es gibt keinen Stress mehr für mich und so laufe ich nicht Gefahr, einen Burnout zu bekommen. Das ist ein wichtiger Teil im Umgang mit meinem Leben. Es hat mich ausgeglichener gemacht. Ich fühle mich frei, neue Dinge zu erleben, und ich genieße einfach jeden Tag ohne Leistungsdruck.

 

Hast du Vorbilder?

Ja, mein lieber Papa natürlich. Er ist der einzige Mensch auf der Welt, den ich je getroffen habe, der unvoreingenommen ist und bedingungslose Liebe zeigt. Jeder ist in unserem Haus willkommen. Er hat mich immer unterstützt und ich habe Glück, dass ich von ihm lernen durfte. Ich liebe auch die Menschen in der Mongolei, sie haben mir so viel beigebracht. Es gibt dort eine Familie, mit der ich viel zusammen bin, und deren Kinder ich aufwachsen sehe. Sie haben einen anderen Blick auf das Leben, gehen keine Risiken ein. Wenn etwas schief geht, lachen sie. Wenn ein Wolf ihre Pferde gefressen hat, ist das für sie das Lustigste auf der Welt und dann gehen sie selbst auf Wolfsjagd und genießen es. Auch wenn ihr Leben hart ist, gibt es so viel Lebensfreude. Diese Familie ist ein Vorbild für mich.

Frau mit zwei Kindern und einem Falken
© Tamar Valkenier

Deine Mutter hat dich, deinen Zwillingsbruder und deinen Vater verlassen als du fünfzehn warst. Danach hattest du wenig Kontakt zu ihr.

Ja, meine Mutter lebt jetzt in Südfrankreich. Wir sind in Kontakt und manchmal besuche ich sie. Aber sie ist viel weniger involviert in meinem Leben. Als ich auf Reisen war und an meinem Buch schrieb, wollte sie keinen Kontakt haben. Wir sind aus der Ferne in Verbindung geblieben, aber ich bin ihr nicht so nah wie meinem Vater.

Es gibt ein schönes Foto von dir und deinem Mann, kurz nach eurer Hochzeit letztes Jahr.

Mein Mann Dave hat mich um sechs Uhr morgens in meinem Hochzeitskleid durch den Wald zum Canyon geschleppt, um das perfekte Foto zu machen. (lacht) 

Junges Paar umarmt sich in einer Höhle
Grand Canyon Blue Mountains Australien © Tamar Valkenier

Und vor ein paar Wochen, wurden wir nochmal ganz traditionell bei einer Hochzeitszeremonie in der Mongolei getraut.

© Tamar Valkenier

Wo hast du deinen Mann kennengelernt?

Vor ein paar Jahren war ich in Australien, zum Klettern. Über Couchsurfing suchte ich nach einem Kletterpartner und er antwortete. Wir trafen uns, verbrachten einen Tag zusammen und das war's. Wir blieben immer in Kontakt, aber wegen meiner Reisen waren wir oft über längere Zeit getrennt. Als ich in der Mongolei war, rief ich ihn an, wann immer ich Wi-Fi hatte, und erzählte ihm von meinen Erlebnissen. Wir trafen uns immer wieder, er kam zu mir oder ich ging nach Australien. Aber dann begann die Pandemie und er war in Australien, von der Welt abgeschottet, da niemand ein- oder ausreisen durfte. Und ich war in Schweden, das bedeutete, dass wir uns zweieinhalb Jahre lang nicht sehen konnten, was eine sehr lange Zeit ist. Aber unsere Beziehung hat auch das überlebt und als die Grenzen geöffnet wurden, waren wir wieder vereint und sind das ganze letzte Jahr zusammen gereist. Wir verbrachten vier Monate im Nahen Osten, radelten ein paar Monate durch die Türkei und Osteuropa und haben dann beschlossen zu heiraten, weil wir nicht wollten, dass eine Regierung entscheidet, wann wir uns wiedersehen können.

 

Habt ihr Pläne für die Zukunft?

Bald werden wir einen Monat zusammen in Europa verbringen, danach geht es in die Mongolei und dann zurück nach Tasmanien. Das ganze letzte Jahr über waren wir auf der Suche nach einem Platz für uns, wo wir arbeiten und leben können. Wir waren in der Türkei, in Portugal und Rumänien, fanden aber nichts, was uns gefiel. Dann haben wir uns in Tasmanien umgesehen und ein wunderschönes Grundstück gefunden. Es ist ein ursprünglicher, wilder Ort. Ein Paradies auf Erden, mit Wildtieren, Wäldern und Wasserfällen. Und nur 20 Minuten von der Hauptstadt mit internationalem Flughafen entfernt. Ich bin so glücklich. Was Besseres konnte uns nicht passieren. In Zukunft wollen wir viel Zeit dort verbringen und etwas aufbauen. Wir sehen es als Basislager. Wie bei den Menschen, die den Mount Everest besteigen und in ihrem Basislager ein Depot für ihr Material haben und dort neue Energie tanken, bevor sie zur nächsten Expedition aufbrechen. Das verändert meine Sichtweise, weil wir ein Zuhause haben werden, in dem wir eine Zukunft aufbauen können. Und mir liegt es sehr am Herzen, auch Gastgeberin sein zu können. Wo immer ich auf meinen Reisen hinkomme, bin ich ein Gast und ich möchte auch einmal sagen können – komm, bleib bei uns und sei unser Gast.